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100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Wiener Kongress und seine Relevanz

Fragen und Antworten zum Wiener Kongress
Fragen und Antworten zum Wiener Kongress ©DPA/APA
Am 18. September jährte sich der Beginn des "Wiener Kongresses" zum 200. Mal. Er dauerte bis 9. Juni 1815 und definierte in Europa zahlreiche neue Grenzen und Staaten. Wir haben Fragen und Antworten zum Wiener Kongress.

Anlass des Kongresses war der Sturz des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte, der zuvor die politische Landkarte des Kontinentes erheblich verändert hatte. In ihrem im Amalthea-Verlag erschienenen Werk “Der Wiener Kongress – Diplomaten, Intrigen, Skandale” geben Bauer und Ehrlich einen Einblick in die Geschehnisse vor, während, nach und rund um den Kongress von 1814/15. Den Historikern und Fremdenführern Christa Bauer und Anna Ehrlich war das Jubiläum Anlass für ein Buch. Passend dazu wurden ihnen Fragen gestellt.

Fragen und Antworten zum Wiener Kongress

Welche Bedeutung hatte der Wiener Kongress zu seiner Zeit?

Bauer und Ehrlich: Am Wiener Kongress sollte die Neuordnung Europas und das Ende der französischen Vorherrschaft geschaffen werden. Da 1806 das Ende des Heiligen Römischen Reiches brachte, bedurfte es auch einer Neuordnung der deutschen Staaten, die mit der Gründung des Deutschen Bunds gefunden wurde. Für die Menschen in Europa brachte der Kongress das Wichtigste: Frieden!

Der Kongress bedeutete letztlich aber auch die Unterdrückung liberaler und nationaler Strömungen, vor allem nationale Interessen wurden außer Acht gelassen, wie etwa in Italien oder Polen. Dennoch muss man sagen, dass der Kongress bei aller Kritik sein wichtigstes Ziel erreicht hatte: Nämlich eine Zeit des Friedens, die rund 40 Jahre lang andauerte, ein Novum auf dem europäischen Kontinent.

Welche Bedeutung hat er 200 Jahre danach für Österreichs und Europas Geschichte noch?

Bauer und Ehrlich: Beim Wiener Kongress ging um eine funktionierende europäische Sicherheitsordnung und nicht mehr vorrangig um die Interessen der einzelnen Staaten. Wien etablierte sich damals erstmals als Kongressstadt, ein Ruf, der bis heute besteht und Wien zu einer der beliebtesten Kongressstädte der Welt macht, Wien belegt den Platz drei in der Statistik der International Congress and Convention Association (ICCA). Heutige territoriale Gegebenheiten wurden am Wiener Kongress geschaffen bzw. vorbereitet, wie etwa im Falle der Schweiz.

Folgende weitere Fragen wurden am Wiener Kongress behandelt bzw. die Grundlagen für die spätere, bis heute bestehenden Regelungen beschlossen: Freie Flussschifffahrt oder Ächtung des Sklavenhandels, zum ersten Mal wurden humanitäre Rechte in Völkerrecht umgesetzt! Sowie Pressefreiheit, Urheberrecht, Buchhandel. Auch das Diplomatische Reglement. Dieses galt bis 1961 und wurde dann – ebenfalls wieder in Wien – mit der “Vienna Convention on Diplomatic Relations” neu festgelegt.

Wie muss man sich das Alltagsleben rund um den Wiener Kongress vorstellen?

Bauer und Ehrlich: Wien war mit 240.000 Einwohnern eine der größten Städte Europas. Die Altstadt, also der heutige erste Bezirk, war allerdings dicht verbaut, alleine hier lebten rund 54.000 Menschen. Es gab außer im Bereich der Hofburg keine Grünflächen, deshalb und auch wegen der niedrigeren Mieten zog es viele Wiener in billigere Unterkünfte in den Vorstädten und Vororten. Diese hatten relativ idyllischen Charakter, hier lagen auch die Jagdgebiete des Kaiserhauses und des Adels. Sie waren beliebte Ausflugsziele, gerne wanderte man in den Wienerwald, man fuhr aber auch mit den “Zeiselwagen” nach Baden oder Laxenburg.

Tagsüber war die Stadt ein einziger Marktplatz, man zählte über 600 Verkaufsstände! Das Verkehrsaufkommen war gewaltig, denn trotz der geringen Entfernungen gingen viele Wiener nicht zu Fuß, sondern benutzten Kutschen und Sänften, für Ärmere hat man die Stellwagen mit fixen Fahrtrouten eingeführt. Die Straßen waren eher schmutzig, obwohl die Hausmeister zweimal täglich “aufspritzen” mussten, und auch die Luftqualität wurde nicht gerade als die beste beschrieben.

Die wirtschaftliche Lage war nach den langen Kriegsjahren und wegen schlechter Investitionen äußerst angespannt. 1811 musste der Staatsbankrott erklärt werden. Die Lebensmittelpreise stiegen an, auch die Mieten erreichten ungeahnte Höhen. Der “Wiener Gemütlichkeit” tat dies offenbar keinen Abbruch: Die vielen Restaurants, Beiseln, Tanzsäle, Kaffeehäuser, Heurigen und Praterattraktionen konnten sich nicht über einen Mangel an Besuchern beklagen. Die zahlreichen Theater zogen ebenfalls ein großes Publikum an, wie z.B. das Theater an der Wien.

Wien galt schon vor dem Kongress als musikalisches Zentrum Europas, hier wirkten Haydn, Mozart und Beethoven, der ja noch während des Kongresses große Erfolge feiern konnte. Auch Schuberts Karriere begann am Wiener Kongress. Noch eine Einrichtung erfreute sich in Wien großer Beliebtheit: Das Kaffeehaus. Da gab es Billard- und Kartentische, Zeitungen lagen auf, und häufig wurde man musikalisch unterhalten – die “Konzertcafés” wurden regelrecht gestürmt. Wien galt außerdem als eine “internationale” Stadt, denn viele Wiener sprachen mehrere Sprachen, Wien war tatsächlich ein Schmelztiegel der Vielvölkermonarchie.

Wie kam es zum Ausdruck “Der Kongress tanzt…”?

Bauer und Ehrlich: Dieses berühmte Bonmot prägte Fürst Charles Joseph de Ligne (1735-1814): “Le congres danse beaucoup, mais il ne marche pas”. “Der Kongress tanzt, aber er geht nicht weiter”, mit dem er die Schwerfälligkeit der Verhandlungen kritisierte.

Wieso ist heute im allgemeinen Geschichtsbewusstsein eigentlich nur noch dieser Ausspruch geläufig?

Am Wiener Kongress wurde tatsächlich täglich gefeiert, oft genug gab es mehrere Feste an ein- und demselben Tag. Die Hoffeste zeichneten sich durch besondere Qualität aus, aber auch der Adel und die Diplomaten veranstalteten “Völkerfeste”, für welche die Gästeliste genau überlegt wurde, um ganz bestimmte Personen zusammenzubringen und unerwünschte auszuschließen. Die Zahl all dieser Veranstaltungen, die privaten eingeschlossen, schien den Wienern unendlich zu sein und blieb ihnen tief in Erinnerung. Das Ausmaß der Zerstreuungen, das den Gästen geboten wurde, täuscht jedoch leicht darüber hinweg, dass enorm viel gearbeitet wurde, und zwar in den Ausschüssen.

Von der Arbeit des Kongresses bemerkten die Menschen aber nicht viel, was sicher daran lag, dass die meisten der Verhandlungen im Geheimen stattfanden und sehr viel Bedacht daraufgelegt wurde, dass nichts nach außen drang. Man kann sich aber auch ganz gut vorstellen, dass die Menschen nach über 20 Jahren Krieg desillusioniert und am politischen Geschehen völlig uninteressiert waren, zumal sie an diesem unbeteiligt waren und ohnehin nichts zu sagen hatten.

Und damals wie heute waren die Menschen sicher mehr am gesellschaftlichen Leben und an den Liebschaften und Skandalen der hochgestellten Persönlichkeiten – heute würde man sie wohl “Promis” nennen – interessiert als am politischen Geschehen. So stießen die unterhaltsamen und mitunter bissigen Berichte der Gräfin Lulu von Thürheim (1788-1864) über die Feste und Amouren der Kongressgäste mit Sicherheit auf mehr Interesse als die vom deutschen Publizisten Johann Ludwig Klüber (1762-1837) veröffentlichten trockenen Kongressakten. Somit blieb im heutigen Geschichtsbewusstsein leider der völlig falsche Eindruck bestehen, dass auf dem Kongress nur getanzt und nichts gearbeitet wurde.

(Die Fragen stellte Edgar Schütz/APA)

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