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Campino im Interview: "Wer braucht jammernde Tote Hosen? Niemand!"

Campino im Gespräch zum neuen Hosen-Album.
Campino im Gespräch zum neuen Hosen-Album. ©APA
Die Toten Hosen veröffentlichen am 5. Mai ihr neues Album "Laune der Natur", am 05. Juni treten sie am Rock in Vienna in Wien auf. Frontmann Campino stand davor im Interview Rede und Antwort.
Wohnzimmerkonzert der Hosen

“Ich habe mich daran gewöhnt, dass wir Platten rausbringen wie andere Leute Tagebuch führen”, so Campino auf zentrale Themen der neuen Songs angesprochen, das Älterwerden und den Tod. Bei allem Ernst hat die Band auf aber den Humor nicht vergessen. Denn: “Wer braucht jammernde Tote Hosen? Niemand!”

“Laune der Natur” erscheint fünf Jahre nach “Ballast der Republik” mit dem Mega-Hit “Tage wie diese”. Die aktuelle Single “Unter den Wolken” sei kein Versuch, dem Erfolg nachzueifern, betonte Campino im Interview mit der Austria Presse Agentur.

“Wir fangen immer bei Null an, letztendlich laufen uns Lieder zu. Wir wissen ja selbst nicht, wie sie entstehen. Das kann man sich so vorstellen, wie wenn jemand an einem Zauberwürfel herumfummelt – und nach einer Woche hat er plötzlich die Aufgabe gelöst, aber keine Ahnung, wie er da hingekommen ist. So funktioniert das bei uns mit den Liedern.”

Campino im Interview

“Laune der Natur” bietet ein breites stilistisches Spektrum. Wie kann man sich den Entstehungsprozess verstellen?

Wenn wir mit einem Album beginnen, gibt es keine Schere im Kopf. Wir toben uns in alle Richtungen aus. Laut unserem Produzenten Vincent Sorg haben wir 475 Song-Versionen aufgenommen. Wir haben also jede Menge Holz verbraucht, um die paar kleinen Möbelstücke herzustellen, diese 15 Lieder auf der Platte.

Die Entwicklung der Band wird von den meisten Fans mitgetragen. Einige sehnen sich aber immer noch nach einem zweiten “Opelgang” (Debütalbum von 1983, Anm.).

Wir sind damals andere Jungs gewesen. Wenn man sich zurückversetzen wollte, würde man sich selbst bescheißen. Was erhaltenswert geblieben ist von damals, diese Rauheit, die Energie und eine gewisse Ruppigkeit – die können wir abrufen, wenn wir wollen. Wir müssen niemandem mehr etwas beweisen. Ob das jetzt Punk oder Pop ist, wir ziehen unser Ding durch. Wenn wir Lust haben, Radau zu veranstalten, nehmen wir uns dieses Recht. Und wenn es leiser zugehen soll, wissen wir mittlerweile, wie wir uns ausdrücken können. Das ist das Schöne an unserer Entwicklung.

Der Tod Ihres Managers Jochen Hülder und das Ableben des langjährigen Schlagzeugers Wolfgang “Wölli” Rhode hat einige Texte inspiriert. Die Lieder berühren aber auch von diesen traurigen Ereignissen losgelöst.

In unseren Liedern spielt sich ganz viel von dem ab, was wir tatsächlich erlebt haben. Aber es ist notwendig, diese Auslösermomente weiterzuentwickeln und Geschichten zu erzählen, bei denen man gar nicht so nachweisen kann, was die mit dem Leben der Toten Hosen zu tun haben. Es geht nicht darum, unser Seelenbefinden auszudrücken, sondern darum, mit unseren Geschichten Menschen zu berühren. Darum steckt in unseren Texten immer jede Menge Selbsterfahrung, aber auch jede Menge Karl May. Das Mischverhältnis ist von Lied zu Lied anders – und ich finde, wir sollten das hüten wie ein Geheimnis.

Zwischen den dunkleren Momente steckt in “Laune der Natur” viel Energie und Augenzwinkern.

Trotz der harten Erlebnisse, die einem nicht erspart bleiben, sollte man nicht die Lust und den Spaß am Leben verlieren! Am Ende eines Albums muss bei uns immer noch als allerstärkstes eine Lebensfreude durchschimmern.

“Laune der Natur” ist – für manche vielleicht unerwartet – ein recht unpolitisches Album geworden.

Wir haben auch dieses Mal einige politische Lieder geschrieben, aber sie haben irgendwie den Weg aufs Album nicht gefunden. Vor allem weil wir meinen, dass es uns jetzt nicht auch noch braucht, um festzustellen, was für eine Gefahr Donald Trump ist. Oder was wir von Erdogan halten oder von dem zurzeit fragilen Europa. Wir müssen aufpassen, nicht mit dem x-ten Anti-Nazi-Lied in der Haltung allmählich zu verblassen und Sachen abzuliefern, die wir selbst schon stärker gebracht haben.

Allerdings ist das Lied “Pop & Politik” an jene gerichtet, die in Foren kritischen Bands ausrichten, sie mögen Musik machen, aber nicht Stellung beziehen.

Es geht nicht nur um uns, sondern um alle Künstler, die sich politisch eine Meinung erlauben. Die werden angefeindet. Das wurden sie schon immer, aber jetzt hat das durch Internet, Shitstorms und Mobbing eine neue Qualität. Darum wollen sich viele nicht mehr klar äußern, weil es sonst Ärger geben könnte. Ich bedaure, dass sich mancher Musiker deshalb überhaupt nicht mehr positioniert. Das ist nicht unsere Haltung! Ich habe als Teenager Bands mit einer klaren Meinung bewundert. Für meine Generation war es nicht genug, ein schönes Lied zu hören. Man musste auch den Künstler dahinter schätzen.

Der Titelsong ist so was wie der erste Öko-Song der Toten Hosen, oder?

(lacht) Finde ich eine gute Bezeichnung. Aber vielleicht sind wir selber eine “Laune der Natur”, eine Sache, die so nicht vorgesehen war. Normalerweise müssten Bands wie wir schon längst das Zeitliche gesegnet haben, aber irgendeine komische Wendung hat es dazu gebracht, dass wir immer noch da sind.

Sind die Toten Hosen jetzt an einem Punkt wie die Rolling Stones angekommen, an dem Medien immer wieder fragen, ob das nun die letzte Tournee sein könnte?

Wahrscheinlich muss man da durch. Warum sollte es uns da besser gehen als all den anderen lange währenden Bands? Man schaut von Saison zu Saison, von Album zu Album, ob die Kraft noch reicht. Das ist OK. Irgendwann wird das Ende kommen. Die Todesfälle zeigen uns ja, dass die Zeit allmählich ausläuft. Jochen und Wölli sind aus unserer Mitte gerissen worden, das hätten wir auch selber sein können. Insofern nehmen wir zur Kenntnis, das wir noch da sind. Wir möchten die Fackel auch im Sinne der anderen beiden gerne noch ein bisschen weitertragen.

Wie wichtig sind neue Platten überhaupt noch für die Band?

Wenn unsere Lieder immer noch Relevanz haben, wenn sich die Leute darüber noch streiten, dann sind wir noch da. Dann sind wir noch eine Band von hier und heute! Solange das bestehen bleibt, mache ich mir keine Sorgen um uns.

Als Bonus zu “Laune der Natur” gibt es “Learning English Lesson 2” mit 21 Punk-Coverversionen. Als Zugabe ist das ganz schön üppig, das hätte man auch als eigenes Album rausbringen können…

Nach fünf Jahren war es Zeit für neue, eigene Songs. Da hätte ein Coveralbum nicht gereicht, das wäre zu dünn gewesen. Zugleich hatten wir eine ungeheure Lust nach London zu fahren. Im vergangenen Jahr wurde dort ja der Beginn der Punk-Explosion spürbar gefeiert. Wir hatten dort eine schöne Party, haben diese Lieder zelebriert und wollten sie gar nicht neu erfinden.

Am 5. Juni gastieren die Toten Hosen im Rahmen von Rock in Vienna auf der Wiener Donauinsel. Warum hat man sich dafür entschieden?

Wir durften in den Neunzigern einmal am Donauinselfest spielen, das hat uns sehr beeindruckt. Wir wollten schon immer noch einmal dorthin zurückkehren. An diesem Tag treten auch Freunde von uns bei dem Festival auf – ich weiß, dass es da eine riesige Party geben wird.

(Wolfgang Hauptmann/APA)

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