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"Claustria": Buch über Fall Fritzl ab sofort auf Deutsch erhältlich

Ein "Buch, das Österreich schockiert": So wird "Claustria", das sich mit dem Fall Fritzl auseinander setzt, beschrieben.
Ein "Buch, das Österreich schockiert": So wird "Claustria", das sich mit dem Fall Fritzl auseinander setzt, beschrieben. ©EPA
Bereits zum Jahreswechsel 2011/2012 wurde der Roman "Claustria" des französischen Autors Regis Jauffret in seiner Heimat heiß diskutiert. Seit 13. September ist das Buch, das sich mit dem Fall Fritzl auseinandersetzt, auch in Deutsch erhältlich. Am Montag, den 24. September, wird Nicholas Ofczarek den umstrittenen Fritzl-Roman „Claustria“ in Wien bei einer Lesung im Rabenhof präsentieren.
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Seit dem 13. September ist das Buch auf Deutsch erhältlich (Ecowin-Verlag) und wird wohl auch hierzulande für große Aufregung sorgen, denn Jauffret hat sich des Falls Fritzl angenommen und dafür ausführlich am Ort des Geschehens recherchiert. Heimische Medien zeigten sich in ersten Rezensionen voll des Lobes.

So schrieb das am Mittwoch erschienene Magazin “News” von einem “Buch, das Österreich schockiert” und nannte Jauffret einen Autor, der “besser als unsere Behörden” ermittle. Für den “Kurier” (Donnerstagausgabe) handelt es sich um “literarische Spekulationen”, der Roman jongliere “gekonnt mit Tatsachen und Fiktion”. Auf mehr als 500 Seiten entfaltet Jauffret seine Version der Ereignisse, erzählt aus der Sicht der Kinder und angesiedelt im Jahr 2055. Im Mittelpunkt steht die Tochter Angelika. Jauffret hat bis auf Fritzl alle Namen verändert.

Inhalt von “Claustria”

Der wichtigste Satz des Buches steht ganz am Anfang: “Dieses Buch ist eine Fiktion.” Das über 500-seitige Werk des französischen Autors Regis Jauffret (57), das im Jänner in Frankreich erschienen und seit heute in deutscher Übersetzung erhältlich ist, wird als Roman ausgewiesen. Es ist kein Sachbuch über den 2008 bekanntgewordenen Amstettener Inzestfall, bei dem Josef F. mit seiner Tochter, die er 24 Jahre lang in einem Keller gefangen gehalten und regelmäßig vergewaltigt hat, sieben Kinder zeugte.Der 57-jährige Autor, der sich schon in seinen Romanen “Histoire d’amour” und “Clemence Picot” mit Gewaltverbrechen auseinandersetzte, hat intensiv in Niederösterreich recherchiert und auch den aufsehenerregenden Prozess mitverfolgt, bei dem der Täter zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Doch ausgehend von den Fakten lässt er seine Fantasie spielen. Und nimmt einen langen Anlauf, mit den Mitteln der Literatur die angetroffene Wand des Verschweigens, Verdrängens und Wegschauens einzurennen.

Inhalt über Fall Fritzl, jedoch in der Zukunft

Der Titel “Claustria” ist eine Verschmelzung der Worte Klaustrophobie und Austria. Die im Buch geschilderten Figuren und Vorfälle stünden “weder für das wirkliche Geschehen noch sollen sie ein Urteil über die Fakten, Menschen und Orte in diesem Buch darstellen”, sichert sich Jauffret ab. Doch er nennt die Dinge, die er meint, beim Namen. Seine Hauptfigur heißt Josef Fritzl, und der Keller, in dem er mit seiner Tochter eine vielköpfige Schatten-Familie gründete, liegt in Amstetten. Auch wenn sich der Autor nicht scheut, immer wieder in der Ich-Form zu schreiben und seinen österreichischen Gesprächspartnern als “Monsieur Jauffret” vorgestellt wird: Der Ausgangspunkt ist reinste Erfindung. Er liegt nämlich in der Zukunft.

Wir schreiben das Jahr 2055 und Sohn Roman Fritzl (die Vornamen hat Jauffret geändert) ist der letzte Überlebende der Familie. Der Vater, im Alter von 92 Jahren unauffällig aus der Haft entlassen, ist mittlerweile ebenso tot wie die Mutter, die mit ihren Memoiren (“Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, einige Filme wurden mit einem Oscar prämiert”) ein Millionenvermögen machte. Das Haus, zwischenzeitlich eine morbide Touristenattraktion, wurde gesprengt. Nur der dabei nicht zerstörte Keller “wird bis zu dem fernen Tag, da ein Erdstoß ihn seinerseits zum Verschwinden bringen wird, wie eine albtraumhafte Tasche in der österreichischen Erde verbleiben”.

Jauffret vergleicht den Kriminalfall mit Platons Höhlengleichnis, bei dem Gefangene die Wirklichkeit nur als Schatten an den Wänden wahrnehmen, und er findet gelegentlich zu Worten, die nicht nach Kolportage klingen: “In diesen vierundzwanzig Jahren, in dieser Ewigkeit kann eine ganze Zivilisation untergehen.” Sensible Wortwahl ist sonst nicht sein Fall, wenn es gilt, das Terrain abzustecken. “In Österreich geht es keinem um die Wahrheit”, heißt es etwa. Amstetten ist “ein graues Kaff in Niederösterreich”, Wien “eine Stadt wie eine Opernkulisse”: “Ich zweifelte nicht daran, an irgendeiner Straßenecke Hitler zu begegnen.”

“Ich mag Kinder und Beton”

Doch nicht Hitler ist die Hauptfigur von “Claustria”, sondern ein unscheinbarer, narzisstischer, Sexualität nur als Gewaltausübung erlebender kleinbürgerlicher Familien-Diktator. Ihn zeichnet Jauffret besonders widerlich und macht sich auch Gedanken über seine Kindheit und Jugend, inklusive einer krankhaften Beziehung zur begehrten Mutter, die noch vor der Tochter am Dachboden sein erstes Wegsperr-Opfer wird. Reue kennt er auch später nie, im Gegenteil fühlt er sich von seiner Tochter Angelika hintergangen. “Sie liebt mich nicht”, konstatiert er enttäuscht bei der einzigen kurzen Wiederbegegnung nach seiner Entlassung. Er sagt auch: “Ich mag Kinder und Beton.”

Auch Gutachter werden zitiert, die dem recherchierenden Autor und seiner Übersetzerin Nina erzählen, was man beim Prozess partout nicht hören wollte: Der Keller sei überhaupt nicht schallisoliert und auch so gelegen gewesen, dass man Geräusche von dort im Wohnhaus wahrnehmen hätte müssen. Beamte geben unter der Hand zu verstehen, dass es einschlägige Berichte und Anzeigen sehr wohl gegeben, man sie aber nie untersucht hätte – ebenso wie die Verbindung Fritzls zu einem früheren Sexualmord, für den er als Täter in Frage gekommen wäre.

Skandalbuch von Regis Jauffret

Literarisch ist das Buch schwach. Am Versuch, dem Unsagbaren eine Sprache zu geben, scheitert Jauffret. Der Erzählton ist zu häufig spekulativ und reißerisch. “Das klebrige Morphium des Koitus perlt am Ende des Harnleiters, bevor es herausfließt, Angelika tränkt und sie glücklich macht wie ein Mohnfeld.” Solche Sätze möchte man nicht lesen, dazu sind die beschriebenen Ereignisse schon entsetzlich genug. Und je länger man liest, penible Schilderungen intimster Details verfolgt, desto unwohler fühlt man sich als Leser, der sich gezwungen fühlt, als Voyeur an einem Verbrechen teilzuhaben. Statt literarisch Distanz zu gewinnen, drängt sich “Claustria” in das Seelenleben von Menschen, die Furchtbares erlitten haben. Mehr als einmal empfindet man das Buch nicht als Aufklärung, sondern als Übergriff.

Am 24. September ist Regis Jauffret im Wiener Rabenhof zu Gast. Nicholas Ofczarek wird aus dem Roman lesen, der Journalist Charles E. Ritterband mit dem Autor sprechen. Es ist anzunehmen, dass es dabei nicht ausschließlich um Literatur gehen wird.

(APA)

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