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Das Endspiel um Europa beginnt - steht Frankreich vor dem Rechtsruck?

Die Top-Favoriten für die Stichwahl: Francois Fillon, Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Melenchon.
Die Top-Favoriten für die Stichwahl: Francois Fillon, Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Melenchon. ©AFP
Die heutige Präsidentschaftswahl ist nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa eine Schicksalswahl. Sollte Front-National-Chefin Marine Le Pen heute und in der Stichwahl in zwei Wochen reüssieren, stünden dem Kontinent turbulente Zeiten bevor.

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Sonntag in Frankreich die europaweit mit Spannung verfolgte Präsidentenwahl begonnen. Rund 50.000 Polizisten und Soldaten sind zur Absicherung der Wahllokale aufgeboten, die um 08.00 Uhr öffneten. Knapp 47 Millionen Bürger sind aufgerufen, ihr neues Staatsoberhaupt zu wählen. Die Wahl könnte eine politische Zäsur für Europa bedeuten.

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Europa zittert vor Wahl

Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel wittert eine konkrete Gefahr, EU-Kommissar Pierre Moscovici fürchtet sogar “das Ende Europas, wie wir es kennen”. Die Präsidentschaftswahl in Frankreich lehrt viele in Berlin und Brüssel das Fürchten.

Selbst wenn es die Rechtspopulistin Marine Le Pen am Ende nicht ins höchste Staatsamt schafft, droht eine Zäsur für die Europäische Union und auch für Deutschland. Denn wie Le Pen kommt auch Links-Außen Jean-Luc Mélenchon mit Breitseiten gegen Brüssel auf starke Umfragewerte. Damit treiben sie selbst die europafreundlichen Mitte-Kandidaten Emmanuel Macron und François Fillon vor sich her. Nach dem Brexit-Schock und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA zittert Europa erneut vor dem unberechenbaren Frust der Enttäuschten und Entfremdeten.

Le Pen will “Frexit”-Referendum

Front-National-Chefin Le Pen hat eine klare Ansage gemacht: Als Präsidentin will sie binnen sechs Monaten ein Referendum über das Ausscheiden ihres Landes aus der EU. Den Euro will sie wieder durch eine eigene Währung ersetzen, das Schengen-Abkommen zum freien Reisen kündigen und die französischen Grenzen abschotten. Der Linke Mélenchon will die europäischen Verträge neuverhandeln – und sie andernfalls verlassen. Ein “Frexit” aber wäre weit dramatischer als der EU-Austritt Großbritanniens. Denn damit bräche ein Gründerstaat weg – das Land, das mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das Einigungsprojekt maßgeblich vorantrieb. Die zweitgrößte Volkswirtschaft ginge verloren. Die bisherige EU wäre am Ende.

Verhältnis Brüssel – Paris angespannt

Warum ist das Verhältnis zwischen Brüssel und Paris so gespannt? Frankreich hatte zuletzt Probleme mit diversen EU-Vorgaben, die Deutschland klar unterstützt. Wegen der Wirtschaftsflaute sprengte Paris die im Euroraum vereinbarte Defizitgrenze von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Während Brüssel auf Einhaltung der Regeln pocht, kritisieren Le Pen und Mélenchon Gängelei. Zweites heißes Eisen ist die EU-Flüchtlingspolitik mit der Umverteilung von Ankömmlingen aus Italien und Griechenland. Dritter Punkt ist die Terrorgefahr im Europa der offenen Grenzen. Übermächtig einerseits, ineffizient andererseits – EU-Skepsis hat nicht nur in Frankreich Konjunktur. Im Wahlkampf ging die Mehrzahl der elf Präsidentschaftskandidaten auf Distanz zu Brüssel.

Macron ist aussichtsreichster Kandidat

Als aussichtsreichster Kandidat gilt trotz allem der europafreundliche Jungstar Macron. Doch war das Rennen vor dem ersten Wahlgang extrem eng und Le Pen könnte, wenn sie am Sonntag Platz eins oder zwei erreicht, zumindest in die Stichwahl am 7. Mai einziehen. In dieser Gemengelage will auch Macron nicht willfährig gegenüber Brüssel und Berlin dastehen. Zuletzt forderte er einen “Ausgleich” für die hohen Handelsüberschüsse Deutschlands, die der Wirtschaft der Eurozone schadeten. Außerdem gilt: Kämen die beiden radikalen Kandidaten Le Pen und Mélenchon wie in Umfragen zusammen auf 40 oder mehr Prozent, wäre auch dies ein Warnschuss für Brüssel. Die Botschaft lautet wohl in jedem Fall: Die EU und die Eurozone müssen sich ändern.

Abschottung oder Öffnung: die Programme der Präsidentschafts-Favoriten

FRANCOIS FILLON: Der 63-jährige Kandidat der konservativen Republikaner will Frankreich eine Rosskur verordnen, um das Land wirtschaftlich wieder fit zu machen. Die Regelarbeitszeit von 35 Stunden in der Woche soll fallen, das gesetzliche Rentenalter will Fillon bis 2022 auf 65 Jahre anheben. “Ich werde der Präsident der nationalen Sanierung sein”, sagte er in der TV-Debatte. Nach seinen Plänen sollen 500.000 Jobs im öffentlichen Dienst wegfallen. Die legale Einwanderung will der Konservative auf das strikte Minimum begrenzen, den Familiennachzug erschweren. Fillon steht wegen einer Affäre um die Beschäftigung seiner Frau in der Kritik.

EMMANUEL MACRON: Der frühere Wirtschaftsminister von Präsident François Hollande will das Rechts-Links-Schema durchbrechen und tritt als unabhängiger Kandidat an. Der 39-jährige Chef der Bewegung En Marche! setzt auf Europa und damit eine Partnerschaft mit Deutschland. Er will als Präsident 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen. Laut Denkfabrik iFrap ist sein Wirtschaftsprogramm ausgeglichener als das von Fillon. Allerdings würde Schuldensünder Frankreich unter Macron 2022 immer noch ein Defizit von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung haben.

JEAN-LUC MELENCHON: Der Chef der Bewegung La France insoumise kritisiert Europa. Er will über die europäischen Verträge verhandeln und über das Resultat in einem Referendum abstimmen lassen. Das Verteidigungsbündnis Nato will er verlassen, “um nicht mehr in Kriege verwickelt zu werden, die wir nicht kontrollieren”. Der 65 Jahre alte Linkspolitiker will auch ein Umwelt-Präsident sein und plädiert deshalb für den Ausstieg aus der Atomenergie.

MARINE LE PEN: Die Rechtspopulistin von der Front National (FN) ist eine leidenschaftliche EU-Gegnerin. Sie will die Franzosen über den Verbleib in der Union abstimmen lassen. Außerdem soll Frankreich den Euro abschaffen und das Schengen-Abkommen für das Reisen ohne Grenzkontrollen verlassen. Sie pocht auf nationale Unabhängigkeit – sie wolle nicht “Vizekanzlerin von Frau Merkel” sein, sagte Le Pen in der Debatte. Die 48-jährige Chefin der FN sieht sich nach dem angekündigten Brexit der Briten und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Aufwind. “Ich will die Einwanderung stoppen”, lautet eine ihrer Devisen.

BENOIT HAMON: Der 49-jährige Spitzenkandidat der regierenden Sozialisten will als einziger ein Grundeinkommen einführen. In einer ersten Stufe sollten junge Menschen und Arbeitnehmer mit sehr geringem Einkommen mit 600 Euro monatlich profitieren. Kritik an hohen Kosten wies der zum linken Flügel der Parti Socialiste (PS) gehörende Ex-Minister bisher zurück. Er tritt auch dafür ein, Bankengewinne zusätzlich zu besteuern und bei öffentlichen Aufträgen einen Anteil von 50 Prozent für französische Unternehmen zu reservieren. Davon sollen vor allem Mittelständler profitieren. In der Flüchtlingspolitik strebt er ein europäisches “humanitäres Visum” an.

 

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