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Flüchtlingsdrama auf A4 jährt sich: "Katastrophe jederzeit wieder möglich"

Am 27. August 2015 wurden in diesem abgestellten LKW die Leichen von 71 Flüchtlingen gefunden.
Am 27. August 2015 wurden in diesem abgestellten LKW die Leichen von 71 Flüchtlingen gefunden. ©APA
Knapp ein Jahr nach der Flüchtlingstragödie auf der Ostautobahn (A4) mit 71 Toten warnt Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt (BK) im APA-Gespräch: Die Zahl der schleppungswilligen Flüchtlinge in der Türkei sei nicht kleiner geworden, dazu käme großes Potenzial in Afrika.
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Allerdings habe sich seit dem Flüchtlingsdrama viel getan, konstatierte der Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im BK. “Wir haben die zentrale Schleppereibekämpfung wieder verstärkt, mit dem Joint Operational Office against Human Smuggling Networks quasi einen operativen Arm für Europol gegründet.” Dieses Büro sitzt in Wien, Ziel sei es, genaue Analysen zu erarbeiten und den Ermittlungsdruck in den Nachbarstaaten – Ungarn, Slowenien, Italien – zu erhöhen, erläuterte der BK-Experte. Ein wichtiger Punkt dabei sei die Implementierung muttersprachlicher Ermittler aus der Türkei, Slowenien, Ungarn, Rumänien und anderer Staaten gewesen. “Die Schranken sind nicht mehr da.”Die Ermittler haben mittlerweile auch sehr gute Kontakte in die Türkei. Tatzgern räumte aber ein: “Mit dem Putsch sind in der Türkei aber die Karten neu gemischt.”

Der Kampf gegen die Schlepper

“Wir versuchen nun, das Netz im Kampf gegen die Schlepper sehr eng zu spannen”, erläuterte der BK-Sprecher. Ein Beispiel: In den vergangenen Wochen hat sich die Schlepperroute von der serbisch-ungarischen Grenze weg in Richtung Kroatien und Slowenien verlagert. Das versuche man nun, auch in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden genau nachzuzeichnen. Die Analyse geht dabei sehr in konkrete Daten – Namen, Telefonnummern usw. Laut Tatzgern habe das zu einer großen Aktion in Deutschland geführt, bei der es Anfang Juli rund 40 Hausdurchsuchungen gab. Dieser Schwerpunkt wiederum half mit, am 21. Juli einen großen Schlepperring in Salzburg auszuheben.

Die Ermittler haben in den vergangenen Wochen den Routen aus Italien über den Brenner und Tarvis verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet, sagte Tatzgern. Es gebe viele Anlandungen und Rettungsaktionen in Süditalien. Pro Woche kommen dem BK-Experten zufolge etwa 6.000 Menschen. “Die Frage lautet: Wo wollen die hin?”, sagte Tatzgern.

Das A4-Drama hat aber auch auf der Täterseite Auswirkungen gehabt. Laut Tatzgern zahlen die Flüchtlinge die Schlepper nun nur für den jeweiligen Abschnitt. Schafft der Flüchtling eine Teilstrecke, gibt es wieder eine Tranche Geld für die Schlepperorganisation. Vor dem A4-Drama wurde das ganze Geld im Vorhinein bezahlt, der Schlepper steckte die Reisewilligen irgendwie in ein Fahrzeug, nach dem Motto: “Wird schon irgendwie gehen.” Das ist nun vorbei, aber nur auf der Balkanroute aus der Türkei, so Tatzgern. “In Afrika wird noch immer das ganzen Geld vorab bezahlt.”

Potenzial von schleppungswilligen Menschen ist größer geworden

Tatzgern zufolge ist aber nicht zu erwarten, dass das schmutzige Geschäft der Schlepper weniger wird. “Das Potenzial von schleppungswilligen Menschen ist größer als letztes Jahr. Und die große Frage ist, was in der Türkei passiert. Kommt die Visafreiheit für türkische Staatsbürger nicht, was macht dann Präsident Recep Tayyip Erdogan?”

In Nordafrika – Libyen – hätten ehemalige Kämpfer des IS ein professionelles Netz aufgezogen. “Es ist in Libyen ein Aufbau notwendig”, sagte der BK-Experte. “Man muss auch in afrikanische Staaten gehen und dort eine Perspektive schaffen.” Ähnliches gelte für Afghanistan. “Und man muss ein Ventil der legalen Einreise schaffen, nur dann kann man der Schlepperei wirklich wehtun”, sagte der Experte, an die politisch Verantwortlichen gerichtet.

(APA/Red)

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