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Fulminantes Konzert von Chilly Gonzales in der Wiener Staatsoper

Cilly Gonzales ist am 2. Juli in der Wiener Staatsoper aufgetreten.
Cilly Gonzales ist am 2. Juli in der Wiener Staatsoper aufgetreten. ©APA
Raps im Dreivierteltakt gab es beim Jazz Fest Wien beim Auftritt von Chilly Gonzales in der Staatsoper. Der exzentrische Künstler bewies mit seinem Konzert, dass Streicher und Schlagzeug harmonieren können und dass man mühelos einen Bogen von Klassik zu Hip Hop schlagen kann.
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In punkto Körpereinsatz passt sich der kanadische Pianist, Komponist, Superproduzent (u.a. Daft Punk, Peaches) und Entertainer dann aber doch an: Ruhiger wirkt er im Vergleich zum legendär schweißtreibenden Konzert im Radiokulturhaus vor vier Jahren. Immerhin steht nun statt orchestralem Rap sein ganz eigener, moderner Zugang zu Kammermusik auf dem Programm. “Chambers” heißt das als pop-romantisches Crossover konzipierte Album für Piano und Streichquartett, das der Wahlkölner mit dem Hamburger Kaiser Quartett einspielte. “Kammermusik war die Popmusik von einst – kann sie das nicht wieder werden?”, so die Hypothese des 43-Jährigen. Die Antwort nach eineinhalb magischen Stunden: Ja, sie kann.

Chilly Gonzales überzeugt auf allen Ebenen

Überzeugend sowohl mit intimem Klavierspiel als auch mit dem Gestus eines großen Egomanen, geht Gonzales an Kammermusik mit der Attitüde eines Rap-Produzenten heran, schafft Lieder, so simpel gestrickt und eingängig wie Pop-Songs, reichert sie dezent mit Anleihen aus Hip-Hop, Pop, Blues und Jazz an. Das klingt wohltuend und geschmeidig, nistet sich sofort im Ohr ein, lässt teils wie bei Filmsoundtracks Bilder vor dem geistigen Auge entstehen. Und wird von Gonzales, dessen Notenbuch “Re-Introduction-Etudes” immerhin zum Bestseller wurde, gleich live erläutert: Zwischen Songs schiebt er Lehrreiches ein, lässt seine Streicher Techniken des Saitenspiels wie Pizzikato demonstrieren und schwärmt von der Tonart c-Moll, mit der man jedes noch so fröhliche Lied wie “Happy Birthday” ganz einfach zum Trauermarsch werden lassen kann.

Live-Auftritt mit Streichern und Schlagzeug

Live bilden rappender Pianist, satte Streicher und Schlagzeuger eine harmonische Einheit, was im wohl eingängigsten Stück des aktuellen Albums gipfelt: Erhaben ist das Gefühl, wenn die Streicher zu “Advantage Points” rasant zupfen und Gonzales in die Klaviertasten haut, als wäre der Flügel ein Schlagzeug; wenn er immer wieder mit Erwartungen bricht, Tempo und Lautstärke wechselt, dazwischen kehrtmacht und dann mit dem Einsatz der Drums noch eins drauflegt. Hunderte Jahre an Themen für das Streichquartett seien da hinein geflossen, sagt Gonzales, “wie Rap-Samples”, und gibt gleich Beispiele, verkauft das Beatles-Thema “All the lonely people” aus “Eleanor Rigby” als Rolling-Stones-Song und wünscht sich Proteste wie einst bei Igor Strawinskys “Sacre du printemps”. “Ihr würdet maximal darüber tweeten”, lästert der Showman, der gewohnt pointiert sein aus überdurchschnittlich vielen Hipstern bestehendes Publikum ebenso auf die Schaufel nimmt wie seine sichtbar amüsierten Musiker, die Musikindustrie – und sich selbst.

Rap über Udo Jürgens

Die musikalische Verneigung vor seinem Idol Johannes Brahms kauft man ihm ebenso ab wie jene vor dem Mann, der vor ihm den Bademantel auf der Bühne salonfähig gemacht hat: Mit Leichtigkeit legt Chilly Gonzales seine eigenwilligen Raps über Udo Jürgens’ “Was ich sagen will, sagt mein Klavier” und spricht dabei die “Einladung zum Schunkeln” aus. Und würdigt mit ebenso viel Leidenschaft gelebte Feindschaft, indem er den bitterbös-grotesken Rap “The Grudge” Brahms widmet – den habe mit dem “dominanten, einfallslosen Arschloch” Richard Wagner nämlich ebenso ein “Beef” (Auseinandersetzung im Rap-Jargon) verbunden wie später Tupac und Biggie.

Ein Bogen von Klassik zu Hip Hop

Mühelos spannt Chilly Gonzales (bürgerlich: Jason Beck) den Bogen von Klassik zu Hip-Hop, nimmt Songs aus früheren Alben her, darunter eigenwillige Rapnummern ebenso wie Instrumentales von den fantastischen “Solo Piano”-Platten oder den “Ivory Tower”-Opener “Knight Moves”. Letzterer gewinnt ohne Synth-Beats, dafür mit Streichern und Schlagzeug noch mal gehörig an Energie dazu: Wenn da die Streicher einsetzen und Gonzales auf dem Klavierhocker auf und ab hüpft, die schon schwitzige Locke im Gesicht und den Rücken gekrümmt, und einen wahren Donner auf den Tasten erzeugt, wird sogar das klatschfaule Wiener Publikum mitgerissen.

Standing Ovations in der Staatsoper

Chilly Gonzales dankt es den regelmäßig in Begeisterungsstürmen verfallenden und mehrmals zu stehenden Ovationen bereiten Fans mit einem intimen Quintett in der Dunkelheit – und kollektivem, finalem Lagerfeuer-Gebrumme. Hatte die ihm voran gestellte Gruppe Plaza Francia noch regelmäßig Tonprobleme, knarzte der Lautsprecher bei ihm nur einmal. “Der Geist von Richard Wagner”, vermutete Gonzales. Und vertrieb ihn sogleich.

Vertrieben wurden kurzzeitig auch einige Besucher von besagter Vorgruppe: Die Wahl auf die Tango und Synth-Sounds vermischende Formation Plaza Francia erschien ein wenig an der (überdurchschnittlich jungen) Zielgruppe vorbei. Bezeichnend, wenn die teils vom Band eingespielten Nummern der fantastischen Pariser Elektrotango-Gruppe Gotan Project – der Bassist Eduardo Makaroff und Keyboarder Christoph H. Müller angehören – besser funktionieren als die eigenen Stücke aus dem “A New Tango Song Book”. Die betont theatralische Sängerin Catherine Ringer, einst Mitglied der 80er-Jahre-Gruppe Les Rita Mitsouko, wirkte mehr angefressen denn sinnlich. Und dürfte jetzt auch ihren ganz eigenen “Beef” mit dem verzweifelten Tontechniker haben. (APA)

>> Hier geht’s zum gesamten Jazz Fest-Programm.

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