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Harmonie aus Experiment und Geradlinigkeit am donaufestival

Die Electronica-Titanen Autechre haben im Laufe ihres über zwanzig Jahre langen Bestehens immer wieder die Grenzen der experimentellen Musik neu definiert. Am letzten Tag des diesjährigen donaufestivals in Krems war das Duo zusammen mit "Warp"-Label-Kollege Chris Clark der mit der meisten Spannung erwartete Act.


Den Auftakt des Festivaltages machte der “Touch”-Musikverlag in der Kremser Minoritenkirche, der mehreren Künstlern nacheinander freie Hand ließ, um den verdunkelten Klangraum mit ihren verschiedenen Richtungen aus Ambient und Noise zu beleben.

Zuerst sorgte der indische Klangmeister Budhaditya Chattopadhyay für eine atmosphärische Eskapade und entführte mit einer Vielzahl an Schellen- und Glocken-Sounds in die Welt der fernöstlichen Zeremonien. Ihm folgte der Holländer Thomas Ankersmit mit unaufhaltsam heranrauschenden Drone-Kompositionen. Zum Abschluss des Label-Showcases entführte die Norwegerin Jana Winderen mit Tiergeräuschen, dem Säuseln von Blättern und Gewässerrauschen in eine sich im Ohr manifestierende Naturlandschaft, bei der am Höhepunkt die immer rapider werdenden Sequenzen den Zuhörer wie in Stromschnellen und Wasserfällen mitreißen.

Genauso experimentell wie rhythmisch sorgfältig vorgehend war die Wiener Kombo aus dem selbstproklamierten Okzident-Noise-Act shrack ! und dem Elektro-Quartett von Ventil, die fürs donaufestival ein einmaliges gemeinsames Konzert aufführten. Mittels futuristischer Beats, Hackbrett, KORG-Synthesizer und zwei stattlichen Drum-Sets für die Percussionisten sowie Bass, E-Gitarre und einem alten Tape Recorder mit einer Kassette arabischen Sprechgesangs wurde die Live-Kollaboration zu einem Erlebnis, bei dem chorale Samples von eindringlich verzerrten Klangwällen abprallten, um schließlich in düsteren Beats und dem Hallen des Hackbretts begraben zu werden.

Später brachte “Touch”-Labelkollege Ryoji Ikeda in einer an die Grenzen der Bassfrequenzen gehenden audiovisuellen Performance den Kremser Stadtsaal zum Beben. In schwarzer Kleidung und eine dunkle Sonnenbrille und Mütze tragend erkundete der in Paris wirkende Sound Artist vor einer schwarz-weiß flackernden Leinwand über seinem Laptop die Limits von Tempo mittels rasend schneller, unaufhaltsam einschlagender Beats.

Einen klaren Höhepunkt des Abends bildete das britische Producer- und Elektroakustik-Duo Sean Booth und Rob Brown alias Autechre, die mit ihrem Auftritt für einen elastischen Tonfluss mit Fetzen und Themen aus dem Repertoire mehrerer Jahrzehnte sorgten. Einflüsse von der Tracksammlung “Incunabula” waren zwischen überlagernden Klängen und hypnotisch schleppenden Loops genauso wahrzunehmen wie Elemente aus Stücken wie “Clipper”, “Nil” und natürlich dem aktuellsten Album “Exai”.

Hinter zwei großen Computerschirmen waren Booth und Brown auf der dunklen Bühne beinahe unsichtbar. So ließen die beiden Meister und Vorreiter moderner Experimental-Electronica Versuch und Eingängigkeit gezielt miteinander harmonieren, indem sie zwischen hektisch knisternden und knackenden Sounds wuchtig-tanzbare Beats hervorprasseln lassen, bevor sie mit kreissägenartigen Frequenzen den nächsten Tempowechsel einläuten. Zwischen Tanzbarkeit und Klangerfahrung balancierend haben Autechre klar demonstriert, weshalb sie zu den definierendsten Vertretern des Genres zählen.

Anschließend folgte der Auftritt einer weiteren Experimentalkünstlerin mit Holly Herndon, einer kalifornischen Klangbastlerin, die mit ihrem Soloprojekt die Grenzen davon, wozu ein Sample menschlicher Stimme genutzt werden kann, neu definiert. Von den urban-häuslichen digitalen Visuals des Japaners Akihiko Taniguchi begleitet, entfachte Herndon flackernde Klangsequenzen wie ein Kaminfeuer, die sich schnell zu einem knisternden Beat weiterentwickelten, während sie ihre Stimme übers Mikro in den Laptop leitete, wo diese synchron vervielfacht, verzerrt oder überlagert und ständig neu gemischt wurde.

Während bei Herndons neuestem Song “Interference” der Freude am Versuch freier Lauf gelassen wurde, schwangen bei “Home” auch schon ziemlich clubtaugliche Sounds mit. Gleich danach zeigte die Stimmenmischerin jedoch erst so richtig, was durch die Symbiose von Mikrofon und Software möglich ist: Abwechselnd keuchte, kreischte und hechelte Herndon, um immer mehr verschiedene Elemente dem mit dem Bass überlappenden Loop hinzuzufügen – schließlich wurde es still und ein einziger klarer Hauch ihrer Stimme beschleunigte solange, bis er in seiner temporeichen Unkenntlichkeit den Bass ersetzte, der daraufhin wieder frisch bespielt werden konnte.

Den Abschluss des donaufestivals machte der englische Electronica-Künstler Chris Clark, der mit seinem im Vorjahr erschienen selbstbetitelten Album “Clark” wieder zurück zu seinen beatlastigen Wurzeln zurückkehrte. Und die Live-Show hielt, was das elektrisch aufgeladene Album verspricht: Eingängige Bässe und wirbelnde Synthie-Sounds wechselten sich wie etwa bei “Winter Linn” mit Break- und Dubstep-Beats ab, zwischendurch wob Clark sanfte Klaviermelodien in raue Industrial-Sequenzen und bot eine Vorstellung, die zwischen Groove und vielen Arten des House fluktuierend auch den tanzwütigsten Besucher zufriedenstellen konnte.

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