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Hochwälders "Himbeerpflücker" in St. Pölten

Ziemlich genau 52 Jahre nach seiner Entstehung ist am Freitagabend im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten Fritz Hochwälders von ihm selbst als Komödie bezeichnetes und selten gespieltes Stück "Der Himbeerpflücker" zur Aufführung gelangt. Cilli Drexels Inszenierung schwankt zwischen satirischer Posse und Outrage.


Gleich zu Beginn gibt es Würstel für die Zuseher, serviert von der biederen, unter fetten Haarsträhnen und hinter großen Brillen verklemmt dreinschauenden Burgerl (großartig: Magdalena Helmig), die doch am Ende zu den meistakklamierten Mitwirkenden zählt – neben Raimund Wallisch, dessen skurriler Bediensteter Zagl in geradezu Nestroy’scher Tradition steht. Der Plot ist im Grunde ein Abklatsch von Gogols “Revisor”: Ins österreichische Kaff Bad Brauning verschlägt es den Dieb Alexander Kerz (Reinhold G. Moritz) in Begleitung einer steifen Tussy (Eva Maria Marold). Er wird irrtümlich für einen NS-Kriegsverbrecher gehalten, dem man Asyl gewähren will. Schließlich haben alle Honoratioren im Ort mehr oder weniger Dreck am Stecken und im Krieg begangene Untaten zu verdrängen. 

Martin Leutgeb als pseudoleutseliger, fress- und saufsüchtiger Bürgermeister Steißhäuptl (in der Verfilmung 1965 von Helmut Qualtinger verkörpert) symbolisiert treffsicher die rabiat-bösartige Mentalität so mancher Provinzpolitiker, darüber hinaus aber auch jenes von Adorno so benannte “Entsetzen des Gemütlichen”, das sich auch in den Figuren des Arztes (Helmut Wiesinger), des Anwalts (Tobias Voigt) oder des Baumeisters (Michael Scherff) wiederfindet: eine insgesamt gute Ensembleleistung.

Eigenartig wirkt die offensichtlich beabsichtigte Durchbrechung stimmiger Zusammenhänge. Da wird die offenbar in den 1960er Jahren spielende Handlung von Popsounds der 1980er Jahre kontrastiert, da sieht der Ganove Kerz eher wie ein langhaariger Strizzi aus, denn wie ein Nachkriegstyp, dem man den Massenmörder ansehen könnte, da wird der Fabrikdirektor Stadlmeier inmitten der Männergesellschaft mit Christine Jirku besetzt, die ein Oberlippenbärtchen zum Damenoutfit trägt.

Die offenbar unvermeidlichen filmischen Passagen kommen etwas aufgesetzt über die Rampe. Manches wirkt überdick aufgetragen, etwa Steißhäuptls ausufernde Brüllorgien, aber die Essenz des Stückes – und damit auch der Aktualitätsbezug – kommt dennoch zum Vorschein: Wie Hochwälder selbst konstatierte, ist der alpenländische Nazismus keineswegs “das Werk einiger Volksverderber und Rattenfänger”. Es ist noch weitaus schlimmer: Es geht um die kollektive Sehnsucht nach Unterwerfung der eigenen Minderwertigkeit, die nach außen projiziert wird. Anachronistisch ist da leider gar nichts: Der üble Mechanismus funktioniert – in unterschiedlichen Kontexten – noch immer. 

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