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Kaum Besserung bei Türkei-EU Verhältnis in Sicht

Johannes Hahn empfängt den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu
Johannes Hahn empfängt den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu ©APA (dpa)
Wenig Hoffnung auf eine Besserung des Verhältnisses gibt es vor einem Gespräch türkischer Regierungsvertreter mit EU-Spitzenrepräsentanten in Brüssel Dienstagnachmittag.
Deutschland verschärf Reisehinweise

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn empfangen den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu und Europaminister Ömer Celik. Zuletzt hatten sich die Spannungen verschärft.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte vor wenigen Wochen Kritikern damit gedroht, ihnen den “Kopf abzureißen”. Der Versuch Ankaras, die Drohgebärden gegenüber Berlin zu verschärfen, dürfte aber zumindest vorläufig gescheitert sein. Die Türkei hatte eine Liste verdächtiger deutscher Firmen vorgelegt, die angeblich etwas mit Terrorismus zu tun haben könnten.

Diese Vorgangsweise sowie die Inhaftierung von Menschenrechtsaktivisten wie den Deutschen Peter Steudtner und Journalisten brachten in Berlin offenbar das Fass zum Überlaufen. Die deutsche Regierung verschärfte die Reisehinweise für die Türkei. Ankara zog nun zumindest bei der umstrittenen Liste zurück und sprach von einem Kommunikationsproblem.

Hahn fordert Grundsatzentscheidung

Hahn hatte am Montag die Türkei aufgefordert, ihre Haltung zur EU zu klären. Ankara müsse eine Grundsatzentscheidung treffen, Absichtserklärungen seien zu wenig. Die EU werde klar machen, was sie von der Türkei erwarte. Der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei sollte aber trotz der aktuellen Probleme fortgeführt werden. Hahn machte gleichzeitig deutlich, dass ein Aussetzen der Vorbeitrittshilfen an die Türkei ausgeschlossen sei, solange die Beitrittsverhandlungen nicht abgebrochen sind.

Zu den Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei erklärte der EU-Kommissar, “ich sehe mich nicht als besonderer Vermittler” zwischen Berlin und Ankara. Allerdings, “was Deutschland betrifft, betrifft das im Großen und Ganzen die EU. Das ist kein singuläres Thema eines einzigen Mitgliedsstaates.” Es bleibe die “Fundamentalkritik am Mangel an Rechtsstaatlichkeit” aufrecht. Aber natürlich werde er sich um Verbesserungen des Verhältnisses bemühen, was in weiterer Folge auch das “angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei” verbessern könnte. Jedenfalls will Hahn trotz der Probleme mit der Türkei ein “upgrading der Zollunion”. Allerdings sei auch hier die Türkei gefordert, Rahmenbedingungen dafür einzuhalten.

Bei dem hochrangigen Dialog der EU mit der Türkei stehen mehrere Schwerpunkte bevor. Im Folgenden ein Überblick:

DIE ZOLLUNION

Die Regierung in Ankara hat erhebliches Interesse daran, die seit 1996 mit der EU bestehende Zollunion auszubauen. Verhandlungen darüber sollten eigentlich bereits Ende vergangenen Jahres beginnen. EU-Kommissar Hahn machte am Montag deutlich, dass die lange geplante Vertiefung ganz konkret an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards geknüpft werden könnte. Wirtschaftlich gesehen ist dies allerdings heikel. Von der Modernisierung der Zollunion sollen nämlich nicht nur türkische, sondern auch europäische Unternehmen erheblich profitieren – beispielsweise im Agrar- und Dienstleistungsbereich.

DIE EU-BEITRITTSVERHANDLUNGEN

Ein Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen könnte ein klares Signal sein, dass die EU nicht mehr bereit ist, den Kurs der türkischen Regierung zu tolerieren. Doch im zuständigen Rat der Europäischen Union kämpfte bis zuletzt einzig und allein Österreich offen für einen solchen Schritt. In den meisten anderen Mitgliedsstaaten befürchten die Regierungen, dass der Schaden eines Verhandlungsabbruchs zum derzeitigen Zeitpunkt größer sein könnte als der Nutzen – auch wegen der Absprachen mit der Türkei zur Flüchtlingskrise. Der öffentliche Druck, sich in diesem Punkt zu bewegen, wurde zuletzt aber noch einmal größer. Unter anderem das EU-Parlament hatte bereits ein Aussetzen der Verhandlungen gefordert.

DIE EU-FINANZHILFEN

4,45 Milliarden Euro: Das ist der Betrag, den die EU der Türkei für den Zeitraum von 2014 bis 2020 als sogenannte “Heranführungshilfe” zugesagt hat. In Reaktion auf die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Steudtner kündigte Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel in der vergangenen Woche an, mit seinen europäischen Kollegen über diese Hilfe sprechen zu wollen. In Brüssel wird mit Spannung erwartet, was dies bedeutet. Nach Angaben der EU-Kommission können Zahlungen rechtlich nämlich nur dann eingestellt werden, wenn die Beitrittsverhandlungen zumindest ausgesetzt werden. Der Spielraum für eine Umschichtung der Mittel in Projekte für die Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit wird laut dem zuständigen EU-Kommissar Hahn bereits heute genutzt.

RESTRIKTIVE MASSNAHMEN

“Um die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der verantwortungsvollen Staatsführung zu gewährleisten”, kann die EU Sanktionen gegen Regierungen, Organisationen oder Einzelpersonen verhängen. Im Fall der Türkei könnten in einem ersten Schritt beispielsweise Verantwortliche für die Inhaftierung von Journalisten, Menschenrechtlern und Oppositionellen ins Visier genommen werden. Gegen sie würden dann EU-Einreiseverbote verhängt, und sie würden auf die Liste derjenigen Personen kommen, von denen zum Beispiel in der EU vorhandene Konten eingefroren werden. Für die Türkei wären Sanktionen blamabel. Sie würde damit auf einer Stufe mit Ländern wie Russland, Nordkorea oder Syrien stehen.

WIE ES WEITERGEHT

Ob, und wenn ja wie die EU Druck auf die Türkei ausübt, liegt allein in der Hand der Regierungen der Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission kann zwar Vorschläge machen, letztlich entscheiden allerdings die Vertreter der 28 Regierungen. Nach den EU-Türkei-Gesprächen an diesem Dienstag dürften die Diskussionen über konkrete Reaktionen Fahrt aufnehmen – je nach Ausgang mit großem oder eher mäßigem Tempo.

(APA/dpa/Reuters)

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