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Koalition kippt geplantes Rauchverbot: Reaktionen aus Politik und Gesundheit

"Enormer gesundheitspolitischer Rückschritt": Massive Kritik an der zwischen ÖVP und FPÖ ausgemachten Raucherregelung kommt unter anderem von der SPÖ. Auch von Ärzteseite gab es scharfe Kritik am von der FPÖ gekippten absoluten Rauchverbot.
Schwarz-Blau kippt das Rauchverbot
"Schandfleck" Österreich
Shisha-Lokale für Sonderregelung
Jeder dritte Gast ist Raucher
Suchtexperten schlagen Alarm
Meiste Raucher für Qualmfreiheit
Rauchverbot: Immer mehr Kritik

In Österreichs Gastronomie darf weiter geraucht werden. Das eigentlich für Mai 2018 geplante allgemeine Verbot wird auf Druck der FPÖ wieder abgeblasen. Damit haben die schwarz-blauen Koalitionsverhandler einen weiteren Stein am Weg zur Bildung einer neuen Regierung am Montag zur Seite gerollt.

Raucherregelung: Das ist neu

Noch sind nicht alle Details bekannt, was die künftigen Raucherregelungen angeht. Doch dürfte im wesentlichen das derzeitige System mit abgetrennten Räumen für Raucher bestehen bleiben. Neu ist, dass Jugendliche unter 18 diese Sektoren nicht betreten dürfen. Außerdem wird es auch ein Rauchverbot in Autos geben, wenn Kinder und Jugendliche unter 18 im Wagen mitfahren. Rauchen soll insgesamt erst mit der Volljährigkeit erlaubt sein, was auf Länderebene legistisch umgesetzt werden dürfte.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zeigte sich “stolz auf diese hervorragende Lösung im Interesse der Nichtraucher, der Raucher und der Gastronomen”. Tausende gefährdete Arbeitsplätze blieben bestehen, der Nichtraucherschutz insbesondere bei Jugendlichen werde verstärkt.

Rendi-Wagner: “Schwarz-Blau ist die Gesundheit der Menschen nichts wert”

Die Reaktionen der anderen Parteien fielen erwartungsgemäß überwiegend negativ aus. “Das Kippen des totalen Rauchverbots in der Gastronomie ist ein enormer gesundheitspolitischer Rückschritt”, befand die scheidende Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) am Montag. “Ich bin vom Zick-Zack-Kurs der ÖVP enttäuscht, sie macht ein Gesetz rückgängig, das sie selbst mitbeschlossen hat.”

“Damit zeigt Schwarz-Blau, dass ihnen die Gesundheit der Menschen nichts wert ist”, meinte Rendi-Wagner in einer Aussendung. 13.000 Österreicher sterben laut Gesundheitsministerium jährlich an den Folgen des Tabakkonsums. “ÖVP und FPÖ entziehen sich mit der neuen Regelung jeder faktenbasierten Gesundheitspolitik”, warf die Ministerin der künftigen Regierung vor. Die meisten europäischen Länder hätten bereits vor Jahren Rauchverbote eingeführt und verzeichneten einen positiven Trend, hätten doch Herzinfarkte, Atemwegserkrankungen und Frühgeburten signifikant abgenommen. NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker sah einen “populistischen Schnellschuss”.

Rauchverbot: Kritik an geplanter neuer Raucher-Regelung

Von Ärzteseite gab es Montagnachmittag nach Bekanntwerden der Pläne der schwarz-blauen Verhandlungspartner zu Beseitigung des von der ÖVP in der Vergangenheit mitbeschlossenen generellen Rauchverbotes in der Gastronomie ab Frühling 2018 heftige Kritik. Von “Rückschritt” und von einem unverständlichen Vorbild (“Berliner Modell”) aus Deutschland war unter anderem die Rede.

“Wenn man von einem ‘Berliner Modell’ spricht – in Deutschland sind die Maßnahmen gegen den Tabakkonsum ja genauso schlecht wie in Österreich. Wie will man denn das alles kontrollieren? Wie will man kontrollieren, ob in einem Auto geraucht wird, in dem auch Kinder sind? Das ist eine Augenauswischerei. Ich verstehe das nicht”, sagte der Wiener Lungenkrebsspezialist Robert Pirker (MedUni Wien/AKH) nach Bekanntwerden der Absichten der möglichen künftigen Koalitionspartner.

Reaktionen: “Rückschritt” – “Deutschland ist ja genauso schlecht”

Florian Stigler vom Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der MedUni Graz, zeigte sich schockiert: “Für mich ist das ein absoluter Umfaller. Ich bin schockiert. Die Zurücknahme eines guten Rauchgesetzes ist ein Rückschritt, wenn das nicht ein noch weiterer Rückschritt ist als man das zunächst meinen könnte.” Stigler sprach damit die Veränderung der Quadratmetergrenzen für mögliche Raucherlokale – bisher höchsten 50 Quadratmeter (wenn keine Nebenräume bestehen). Unter bestimmten Voraussetzungen sollen es offenbar in Zukunft bis zu 75 Quadratmeter sein.

“Das Problem war ja schon bisher, dass die Gastronomie, die sich an die Regelung hielt, Nachteile hatte, die anderen Gastwirte aber keine Konsequenzen bei Übertretungen zu befürchten hatten”, sagte der Public Health-Experte. Er zitierte den kalifornischen Kardiologen Stanton Glantz: “Die Einführung eines generellen Rauchverbotes in der Gastronomie ist die wichtigste Präventionsmaßnahme zum Rauchen. Nicht nur, weil Tabakrauch an sich schädlich ist, sondern weil ein solches Verbot langfristig zum Umdenken in der Bevölkerung führt.”

Wiener Lungenkrebsspezialist: “Ich bin fassungslos”

Bereits vor Bekanntwerden des Schwarz-Blauen Beschlussen, meldete sich der Lungenkrebsspezialist Robert Pirker zu Wort. “Die Verhinderung dieser Maßnahme wäre ein Wahnsinn. Das ist gegen jeden wissenschaftlichen Beweis und gegen Österreichs Unterschrift unter die WHO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle”, so Pirker am Montag.

“85 Prozent der Lungenkrebserkrankungen in Österreich sind auf das Rauchen zurückzuführen und wären somit vermeidbar. Ich sehe jeden Tag Tragödien. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Lungenkarzinomen beträgt nur 15 Prozent. Die Erkrankung zerstört ganze Familien, weil die Kinder dann ohne Mutter oder Vater aufwachsen müssen. Jeder zweite Raucher stirbt vorzeitig”, sagte Pirker, seit vielen Jahren Lungenkarzinomspezialist an der Klinischen Abteilung für Onkologie von MedUni Wien und AKH. Er hatte im Dezember 2016 auch die Welt-Lungenkrebs-Konferenz nach Wien gebracht.

“Man kann doch nicht aus wirtschaftlichem Interesse fürs Rauchen sein”

Es gebe keinerlei Rechtfertigung für ein Nachlassen in den Bemühungen, das Rauchen in Österreich zurückzudrängen. “Man kann doch nicht jungen Menschen Zugang zu einem Suchtgift ermöglichen und sie abhängig machen. Die ganze Welt weiß, wie sehr das Rauchen schädigt, nur wir in Österreich wollen offenbar gegen den Strom schwimmen. In der britischen Medizin-Fachzeitschrift ‘The Lancet’ wurden Anfang 2017 Zahlen zitiert, wonach das Rauchen weltweit pro Jahr 1.000 Milliarden US-Dollar an Schäden verursacht. Das machen der Produktivitätsverlust und die Gesundheitskosten durch die Erkrankungen aus. Dem stehen 269 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen aus dem Tabakverkauf entgegen. Da kann man doch nicht aus wirtschaftlichem Interesse für das Rauchen sein”, betonte der Onkologe.

Raucherregelungen innerhalb Europas

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>>Schwarz-Blau kippt geplantes Rauchverbot: Einigung auf das “Berliner Modell”

(apa/red)

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