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Leitl will Rechnung für Flüchtlinge "nach Brüssel" schicken

Christoph Leitl sieht Österreich als Vorbild für Europa
Christoph Leitl sieht Österreich als Vorbild für Europa
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) will die Regionalförderung der EU nutzen, um in der Flüchtlingsbetreuung die ungleiche Lastenverteilung in der Union auszugleichen. "Schicken wir die Rechnung nach Brüssel", sagte er am Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Österreich habe hier 400 Mio. Euro zu schultern. Ländern wie Ungarn und Polen sollte die Förderung entsprechend gekürzt werden.


Österreich erfülle seine Pflichten, was Asyl betrifft, “in vorbildlicher Weise”, betonte er. Das Land könne auf Dauer aber nicht allein stehen, es drohe Überforderung. “Dann ist niemandem gedient, weder einem Flüchtling, noch unseren Landsleuten.” Wenn die EU die Länder schon nicht zu einer Haltung der Solidarität zwingen könne, müsse man andere Lösungen finden. Brüssel müsse hier einen Ausgleich finden, und zwar durch finanzielle Mittel.

Integrieren will Leitl die Flüchtlinge durch ein zu einem Sozialjahr aufgewertetes Integrationsjahr. Sie könnten – vor allem im Bereich der Gemeinden – überall dort eingesetzt werden, wo derzeit Zivildiener tätig sind. Als zweiten Punkt nannte er die Lehre, als Drittes den Einsatz am Arbeitsmarkt überall dort, wo keine Inländer verdrängt würden. Schließlich gebe es in Österreich offiziell rund 40.000 offene Stellen – auch weil es zu wenige Anreize gebe, etwa einen weiter entfernten Arbeitsplatz anzunehmen oder weil die Sozialtransfers höher seien. Dass sich die Wirtschaft mit den Flüchtlingen billige Arbeitskräfte sichern wolle, wies er unter Verweis auf die Kollektivverträge als “Unsinn” zurück.

In Sachen Bundespräsidentenwahl räumte Leitl Schwierigkeiten bei der ÖVP-Kandidatennominierung ein. Er selbst zeigte sich mit seinem Amt als Kammerpräsident zufrieden, denn “alles ist reizvoll, was in diesem Land etwas bewegen kann”. Andreas Khol, der nun nach der Absage Erwin Prölls antritt, verteidigte Leitl trotz zuletzt EU-kritischer Töne als “überzeugten Europäer”. “Er wird wie ich fordern, dass die EU in der Flüchtlingsfrage eine aktive Rolle einnimmt”, sagte der Kammerchef. “Wir brauchen eine vernünftige Position zwischen Angstmachern und Schönrednern.”

Eine Spitze ließ Leitl gegen den SPÖ-Präsidentschaftskandidaten Rudolf Hundstorfer los, der als Sozialminister bei den hohen Arbeitslosenzahlen nur auf einen Wirtschaftsimpuls gehofft habe. “Man ist nicht in der Politik, um zu hoffen”, meinte Leitl.

Kritik am Amt des Bundespräsidenten etwa als “Grüßaugust” wollte Leitl nicht gelten lassen. Dieser habe gerade in bewegten Zeiten eine stabilisierende Funktion. Um Österreich künftig im Ausland noch besser zu repräsentieren und “Sympathiepunkte” zu sammeln, regte er dennoch an, Reisen der Wiener Philharmoniker künftig mit Reisen des Staatsoberhaupts zu kombinieren. Man sollte weltweit ein “Netz von Freunden Österreichs bilden”, so der Wunsch des Wirtschaftskammerpräsidenten.

Von der Opposition gab es Kritik an Leitls Aussagen. Die Grünen vermissten Mut bei der Liberalisierung der Gewerbeordnung, FPÖ und Team Stronach kritisierten Vorschläge zur Arbeitsmarkt-Integration von Flüchtlingen. Begeisterte Zustimmung gab es hingegen von ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol.

Leitl sei in Fragen der Zuwanderung “völlig falsch gewickelt”, meinte FPÖ-Wirtschaftssprecher Axel Kassegger in einer Aussendung. Bei fast 500.000 österreichischen Arbeitslosen eine Beschäftigungsoffensive für Asylanten anzudenken, sei ein Irrweg, zumal diese nach Wegfall ihres Asylgrundes ohnehin wieder das Land zu verlassen hätten.

Auch Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar kritisierte, “dass sich die Wirtschaft mit Ideen zur Schaffung von Lehrstellen für Flüchtlinge geradezu überschlägt, während aber jahrelang nichts gegen den Lehrstellenmangel für österreichische Jugendliche unternommen wurde”. Ebenso wie Kassegger ortete er ein Versagen der Bundesregierung in Sachen Belebung der Wirtschaft.

Volle Zustimmung erhielt Leitl von ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol, und zwar für seinen Vorschlag, das jüngst beschlossene freiwillige Integrationsjahr für Flüchtlinge zu einem Sozialjahr auszubauen. Als Vertreter der Bürgergesellschaft begrüße er dies, so Khol, der sich dazu höchstpersönlich per Telefon in der APA meldete. Es gehe um eine sinnvolle Beschäftigung der Asylwerber. Eine weitere Gesetzesänderung brauche es nicht, der Sozialminister müsse hier nur einen Schwerpunkt bilden.

Viel weniger Begeisterung brachte Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, auf. Leitl wolle Flüchtlinge am Arbeitsmarkt integrieren, steht aber bei einer Liberalisierung der Gewerbeordnung wie immer massiv auf der Bremse: “Warum darf ein syrischer Flüchtling bei uns keine Schneiderei, keine Bäckerei und keine Reparatur-Werkstatt eröffnen, ohne dass ihm Staat und Kammer massiv Prügel in den Weg legen?”, fragte er.

Atmosphärische Unterstützung erhielt Leitl vom Koalitionspartner SPÖ. “Es ist fast schon wohltuend in diesen Tagen, dass ein ÖVP-Spitzenvertreter nicht diesen hysterisch-aggressiven Ton anschlägt, geprägt von ins Persönliche gehender Kritik, wie das in letzter Zeit die politische Kultur der ÖVP zu sein scheint”, freute sich Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid. Allerdings könne sich die ÖVP, die seit Jahren den Wirtschaftsminister stelle, in Sachen Wirtschaftslage Österreichs nicht aus der Verantwortung stehlen.

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