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Libysche Rebellen in Tripolis: Verbleib Gaddafis ungewiss

Rebellenkämpfer zerreißen eine grüne Flagge, das Symbol für die Ära Gaddafi.
Rebellenkämpfer zerreißen eine grüne Flagge, das Symbol für die Ära Gaddafi. ©dapd
Muammar al-Gaddafi ist nach vier Jahrzehnten an der Macht in Libyen am Ende. Rebellen kämpften sich trotz heftigen Widerstands am Montag in Tripolis bis zum Anwesen des 69-Jährigen vor.

“Hier wird überall geschossen”, sagte ein Rebellen-Offizier der Nachrichtenagentur Reuters. Panzer Gaddafi-treuer Truppen seien vor dem Komplex aufgefahren. Die größte Gefahr aber gehe von Heckenschützen aus. Der Verbleib von Gaddafi war zunächst unbekannt. Drei Söhne Gaddafis wurden von Aufständischen festgenommen.

Westliche Staatschefs forderten, Gaddafi müsse vor Gericht gestellt werden. Die Aufständischen riefen sie dazu auf, auf Rache zu verzichten. Außerdem stellten sie Hilfen für den Aufbau eines demokratischen Staatswesens in Aussicht. Auch wurden erste Schritte unternommen, um die Ölindustrie wieder zum Laufen zu bringen. Nach Meinung der USA hält sich Gadaffi weiterhin in dem Land auf. “Wir haben keine Informationen darüber, dass er das Land verlassen hat”, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, David Lapan, vor Reportern in Washington, wie der Nachrichtensender CNN berichtete. Sonntagnacht hatten Rebellen den symbolbeladenen Grünen Platz im Herzen von Tripolis eingenommen. Hier hatte die Regierung immer wieder Kundgebungen veranstaltet, die die angebliche Beliebtheit Gaddafis im Volk demonstrieren sollten.

In der libyschen Hauptstadt kämpften sich die meist in Zivil gekleideten Truppen der Aufständischen Haus für Haus vor und versuchten, Scharfschützen auszuschalten. Aus dem Regierungsviertel heraus starteten Gaddafi-treue Truppen einen Gegenangriff mit Panzern und Kleinlastern mit Maschinengewehren auf der Ladefläche. “Die schossen wahllos in alle Richtungen immer wenn sie Gewehrfeuer hörten”, berichtete der Sprecher der Rebellen, Nouri Echtiwi.

“Gaddafi ist am Ende. Wir sind nun frei”, sagte ein Rebellenkämpfer, der mit seinen Kameraden Stellungen in westlichen Stadtteilen sicherte. Nach Angaben der Rebellen forderten die Kämpfe in Tripolis, der Hochburg Gaddafis, einen hohen Blutzoll. Heftige Kämpfe wurden noch von der libysch-tunesischen Grenze gemeldet. Gaddafi-Truppen versuchten durch schweren Beschuss die Rebellen daran zu hindern, den Grenzübergang Ras Dshadir zu erreichen.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon fordert die noch loyal zu Gaddafi stehenden Soldaten auf, die Kämpfe einzustellen und einen friedlichen Machtwechsel zuzulassen. Ban hat zudem angesichts des sich abzeichnenden Sieges der libyschen Rebellen noch für diese Woche ein internationales Gipfeltreffen zu Libyen angekündigt. Teilnehmen sollten Vertreter von Europäischer Union, Afrikanischer Union, der Arabischen Liga und weiterer regionaler Organisationen, sagte Ban am Montag in New York. Als mögliche Termine für das Treffen in New York nannte er den Donnerstag oder Freitag.

Zugleich bot Ban die Hilfe der Vereinten Nationen beim politischen Übergang an. “Wir erleben einen Moment voller Hoffnung, es sind aber auch Risiken ersichtlich”, sagte Ban. Die UNO sei bereit, Libyen in allen wichtigen Bereichen zu helfen, etwa bei der Sicherheit, dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes, der Schaffung eines Rechtsstaats, dem Schreiben einer neuen Verfassung und der Abhaltung von Wahlen.

Am Wochenende hatten die Aufständischen in einer sorgfältig geplanten Offensive Tripolis bereits zu großen Teile eingenommen. In der Nacht zum Sonntag stießen sie aus drei Richtungen gegen Tripolis vor, zeitgleich erhoben sich die Rebellen in der Stadt. Gaddafi hatte zuvor in offensichtlicher Verkennung seiner so gut wie aussichtslosen Lage den Rebellen Verhandlungen angeboten, die diese ausschlugen. In einer Radio-Ansprache rief er die Einwohner von Tripolis zum Kampf gegen die Rebellen auf, die er als “Ratten” bezeichnete.

Gaddafis Verbleib war unklar. Südafrika dementierte, es habe ein Flugzeug geschickt, das Gaddafi ins Exil bringen solle. Gaddafis Sohn Saif al-Islam wurde von Rebellen festgenommen. Auch der Internationale Gerichtshof bestätigte die Festnahme. Der Rebellenrat teilte auch mit, Gaddafis ältester Sohn Mohammed habe sich ergeben. Dem Sender Al-Jazeera sagte Mohammed, Bewaffnete hätten sein Haus umstellt, er und seine Familie seien unversehrt. Später berichtete der Sender Al-Arabiya, der Gaddafi-Sohn Saadi fest ebenfalls festgenommen worden. Der libysche Ministerpräsident Al-Baghdadi Al-Mahmoudi setzte sich nach einem Bericht des Senders Al-Jazeera nach Tunesien ab.

Mit dem Machtverlust Gaddafis hat die NATO ihr Ziel erreicht, die mit stetigen Luftangriffen den Vormarsch der Rebellen entscheidend unterstützt hat. Lange Zeit drohte in den vor sechs Monaten ausgebrochenen Kämpfen ein militärisches Patt, nachdem sich die Fronten festgefahren hatten. Westliche Politiker wie der britische Premierminister David Cameron und Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle forderten, Gaddafi müsse vor Gericht gestellt werden. Ob Gaddafi im eigenen Land oder vor einem internationalen Gerichtshof der Prozess gemacht werde, müssten die Libyer entscheiden, sagte Westerwelle.

Der Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof hält ein Verfahren gegen Gaddafi in Libyen noch vor einem Prozess in Den Haag für möglich. “Verbrechen in Libyen wurden vor allem an Libyern begangen”, erklärte Staatsanwalt Luis Moreno Ocampo nach Gesprächen mit Vertretern des libyschen Übergangsrates. Das sogenannte Weltstrafgericht hatte am 27. Juni auf Antrag Moreno Ocampos internationale Haftbefehle ausgestellt gegen Gaddafi, seinen Sohn und De-Facto-Premierminister Saif al-Islam sowie gegen den Geheimdienstchef und Gaddafi-Schwager Abdullah Senussi.

Cameron appellierte an die Rebellen, auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten. Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt warnte, es bestehe das Risiko von Rache und unkontrollierter Gewalt. Beobachter befürchten zudem nach dem endgültigen Sieg über Gaddafi könnten im ohnehin angeknacksten Bündnis der Rebellen Kämpfe um Macht und Ressourcen ausbrechen. Libyen hat keine gewachsenen staatlichen Strukturen, die denen westlicher Demokratien vergleichbar sind. Es gibt keine unabhängige Verwaltung und Justiz. Traditionell sind die Stämme ein großer Machtfaktor. Daneben dürften auch Staatseliten und bislang oppositionelle Gruppen versuchen, ihren Einfluss auszubauen.

Nach Ansicht der Experten Annegret Bendiek und Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik müsste sich auch der Rebellenrat umorganisieren, da in ihm Vertreter des Nordostens überrepräsentiert sind. Den westlichen Staaten empfehlen die Experten, der Versuchung zu widerstehen, in die Regierungsbildung einzugreifen. Dies könnte den Übergangsprozess diskreditieren. Zwar könne es bei den zu erwartenden Machtkämpfen einen Bedarf für ausländische Vermittlung geben, nicht aber für externe Versuche, die führenden Akteure zu bestimmen.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, sein Land werde weiterhin den Übergangsrat der Rebellen unterstützen und lud dessen Vorsitzenden Mahmoud Jibril zu einem Besuch am kommenden Mittwoch nach Paris ein. Großbritannien und Deutschland versicherten, eingefrorene libysche Finanzmittel so schnell wie möglich freizustellen. Westerwelle bekräftigte, Deutschland wolle dem Nationalen Übergangsrat 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit soll die Zeit überbrückt werden, bis die im Ausland eingefrorenen libyschen Gelder der neuen Regierung zur Verfügung gestellt werden können. Zunächst aber müssten die innenpolitischen Verhältnisse geklärt werden.

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