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''Meine Welt gab es nicht mehr!''

Es dauerte lange, bis Petra Kremmel akzeptieren konnte, dass sie keine Schuld am Tod ihres Vaters trug.
Es dauerte lange, bis Petra Kremmel akzeptieren konnte, dass sie keine Schuld am Tod ihres Vaters trug. ©Stiplovsek
Vor acht Jahren nahm sich Petra Kremmels Vater das Leben. Für die heute 35-Jährige ein erschütterndes Erlebnis. Mit WANN & WO spricht sie über ihren Verlust und wie sie ihre Trauer schließlich mithilfe von Familie, Freunden und Therapie verarbeiten konnte.

Gerade zur Weihnachtszeit fühlen sich viele Menschen alleine, traurig, auf sich selbst gestellt. Und tragischerweise kommt es immer wieder vor, dass diese Menschen keinen anderen Weg aus ihrer Verzweiflung sehen, als sich das Leben zu nehmen. So auch Petras Vater. Bedrückt erinnert sie sich an den schicksalhaften Tag im Jahr 2006 zurück: „Ich bekam einen Anruf von meiner Mutter, mein Vater hätte sich im Keller erhängt. Mir fiel das Handy aus der Hand und ich konnte jemanden schreien hören. Dass ich es selbst war, habe ich nicht recht realisiert. Es setzte eine unglaubliche Ohnmacht ein, alles war dumpf, wie in Watte verpackt, und verlief in Zeitlupe. Meine Welt gab es nicht mehr.“

„Man denkt niemals an sowas“

Den Rest dieses Tages hat sie nur noch sehr vage in Erinnerung: „Ich wurde zu meiner Oma gebracht, dort war das KIT (Anm. d. Red.: Kriseninterventions-Team) vor Ort, vom Rest des Abends weiß ich nicht mehr viel. Hinterher denke ich, gab es viele Anzeichen, die auf seine Tat hingedeutet haben: Er war alkoholkrank und hatte gerade seine Arbeit verloren. Zusätzlich kamen große gesundheitliche Einschränkungen hinzu. Doch trotzdem denkt man niemals an sowas – er war schließlich mein Papa. Und auch wenn der Verstand weiß, dass einen selbst keine Schuld trifft – das Herz verzeiht sich das kaum. Es hat mich komplett erschüttert, ich habe nur noch funktioniert.“ Es folgten zahlreiche Gespräche mit Freunden und Familie, schließlich suchte sich die Lustenauerin professionelle Hilfe: „Jeder trauert anders und schlussendlich habe ich dann für ein halbes Jahr auch eine Therapie in Anspruch genommen. Eine neutrale Person hat oft einen besseren Blick auf das Gesamtbild.“

Suizid noch immer ein Tabu

„Ich bin gegen den Ausdruck ‚Selbstmörder‘. Er macht Betroffene zu Tätern. Sie sind Opfer, die einfach keine Kraft mehr haben, das Leben zu bewerkstelligen“, führt Petra fort. Selbsttötungen sind auch keine Einzelfälle, wie Petra weiß: „Allein 2012 gab es rund 1200 Suizide in Österreich – das ist mehr, als das Doppelte an Verkehrstoten. Wenn man bedenkt, dass jede Selbsttötung fünf bis sieben Hinterbliebene zurücklässt, dann sind das eine ganze Menge Menschen!“ Für Petra zu viele, um darüber zu schweigen. Deshalb appelliert sie an alle, die so eine Situation durchleben mussten oder müssen: „Ihr seid nicht allein, schämt euch nicht! Das gehört nun zu eurer Geschichte und darf nicht totgeschwiegen werden. Und vor allem: Es trifft euch keine Schuld! Es gibt Trauerbegleitungen durch Psychologen oder Psychiater beim ifs oder dem Hospiz Vorarlberg sowie Selbsthilfegruppen. Der erste Schritt ist der schwierigste, aber es ist die Anstrengung wert! Es gibt nichts, was man falsch machen kann, außer nichts zu tun.“

Video von Petra Kremmel: Angehörige von Suizid

Petra Kremmel veröffentlichte kürzlich auf YouTube einen sehr emotionalen Clip (QR-Code), mit dem sie Hinterbliebenen Kraft spenden möchte. „Das Einzige, das man falsch machen kann, ist trauernde Menschen zu ignorieren. Wenn ich mit dem Video jemandem helfen kann, wäre ich megahappy!“

„Suizidale Absichten sind immer Notfälle!“

WANN & WO sprach mit Primar Dr. Reinhard Haller über Suizid, Prävention und Hilfe für Betroffene und Hinterbliebene.

WANN & WO: Warum kommt es gerade zu Weihnachten vermehrt zu Selbsttötungen?

Dr. Reinhard Haller: Gerade im Herbst und im Frühjahr nehmen Depressionen zu. Bei rund 15 Prozent der Betroffenen kommt es zum Selbstmord. Die meisten Selbsttötungen erfolgen nach der Faschingszeit, gefolgt von Weihnachten. Gründe sind Vereinsamung, sensible Gemütszustände, aber auch Gedanken daran, dass die glückliche Kindheit vorbei ist.

WANN & WO: Welche Anzeichen für Suizid gibt es?

Dr. Reinhard Haller: 70 Prozent kündigen die Tat an. Sie ziehen sich zurück, werden still und beschäftigen sich immer mehr mit dem Tod. Anzeichen sind auch Antriebs- und Freudlosigkeit, etc. Und es kann im Zuge eines Rauschs zum „Elender“ kommen. Das ist auch gefährlich.

WANN & WO: Welche Altersgruppensind besonders gefährdet?

Dr. Reinhard Haller: Junge Menschen versuchen 20- bis 50-mal häufiger, sich das Leben zu nehmen, als Erwachsene, jedoch endet ‚nur‘ jede 20. Handlung tödlich. Bei Erwachsenen gelingt die Selbsttötung in 80 Prozent der Fälle. Selbstmordversuche sind eine Domäne der Jugend. Es handelt sich meist um Hilfeschreie oder Erpressungen in Liebesdramen. Je älter die Personen sind, desto radikaler gehen sie vor. ‚Erfolgreiche‘ Selbsttötungen erfolgen meist im Erwachsenenalter.

WANN & WO: Wo finden Betroffene Hilfe?

Dr. Reinhard Haller: Suizidale Absichten sind immer Notfälle! Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar. Auch Hausärzte, diensthabende Ärzte, Caritas oder die Ambulanzen der Valduna und Maria Ebene helfen. Wichtig ist es, Betroffene aus der Isolation herauszuholen. Man darf sich nicht davor scheuen, über Selbstmord zu reden! Zudem muss man Hinterbliebene von ihren Schuldgefühlen befreien. Wenn sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben, sind sie nicht schuld! Hier helfen Therapeuten, Supro, aks, etc.

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(WANN & WO)

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