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Wolfgang Lutz: Der Statistiker des Menschen

Ohne IIASA heute nicht in Österreich
Ohne IIASA heute nicht in Österreich ©APA (Neubauer)
Schon im Alter von 15 Jahren hat Wittgenstein-Preisträger Wolfgang Lutz (53) beschlossen, sich mit der Demographie zu beschäftigen. Schuld war die "Club of Rome"-Studie "Die Grenzen des Wachstums". Noch vor deren Veröffentlichung hatte der österreichische Statistiker und "Club of Rome"-Mitglied Gerhart Bruckmann einen Vortrag über diese Szenarien in Wien gehalten, den Lutz' Vater gehört hatte.

Lange wurde zu Hause darüber diskutiert, erinnerte sich Lutz im Gespräch mit der APA. Schließlich meinte sein Vater, als Historiker könne er da nicht viel tun, sein Sohn müsse versuchen, die Zukunft zu verändern. Mit den hoch dotierten Wissenschaftsförderungspreisen, die Lutz in den vergangenen Jahren erhalten hat, kann er nun mit Hochdruck daran arbeiten.

Das Leben des Wissenschafters war von Anfang an international ausgerichtet: Der Beruf seines aus Bayern stammenden Vaters, der als Historiker sieben Jahre lang in den Vatikanischen Archiven recherchierte, brachte es mit sich, dass Lutz (am 10. Dezember 1956) in Rom geboren wurde. Er wuchs erst in Deutschland und nach der Berufung seines Vaters an die Universität in Wien auf, wo er das Schottengymnasium besuchte.

Sein Studium begann er in München, wo er zuerst Philosophie, Mathematik und Theologie belegte, ehe er an der Uni Wien “sein” Fach, die Sozialwissenschaft, speziell die Sozial- und Wirtschaftsstatistik, fand. Nach Abschluss dieses Studiums 1980 absolvierte Lutz an der University of Pennsylvania (USA) ein Master-Studium für Demographie und schloss innerhalb nur eines Jahres ein entsprechendes PhD-Studium ab (1983).

Die Statistik hat den mit einer aus Finnland stammenden evangelischen Pastorin verheirateten Lutz immer mehr als Instrument interessiert, als Hilfsmittel dafür, “Menschheitsfragen lösen zu können”. Diese Möglichkeit bot ihm das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Er traf dort 1984 auf Nathan Keyfitz, einen damals 70-jährigen ehemaligen Harvard-Professor für Demographie, der am IIASA das “World Population Program” leitete und in Lutz das Interesse an jenen demographischen Fragen weckte, die ihn heute noch beschäftigen.

Am und über das IIASA fand er auch die notwendigen internationalen Kontakte in einem Fach, das nach dem kompromittierenden Engagement der Demographen in Eugenik und Rassenhygiene unter den Nationalsozialisten im deutschsprachigen Raum praktisch verschwunden war. “Ohne das IIASA wäre ich vermutlich heute nicht in Österreich”, betonte der Wissenschafter.

Mittlerweile leitet Lutz (seit 1994) selbst das “World Population Program” am IIASA, doch die Institution ist nur mehr eines von drei Standbeinen des Wissenschafters. Seit 2002 ist Lutz auch Direktor des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und seit zwei Jahren Professor für Sozialstatistik an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien.

Die wissenschaftliche Leistung besteht für Lutz nicht nur aus der Sammlung von Daten und dem wissensbasierten Blick in die Zukunft in Form von Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Entwicklungen. Für ihn zählt, im Gegensatz zu vielen anderen Sozialwissenschaftern, auch die Bildung von Theorien und deren Falsifikation zur höheren Kunst der Demographie. So hat Lutz in den vergangenen Jahren auch prognosefähige Modelle des sozialen Wandels entwickelt, etwa in seiner im Vorjahr veröffentlichten Arbeit, in der er nachwies, dass Bildung ein zentraler Motor für den Wohlstand einer Gesellschaft ist.

Nicht nur diese, sondern auch zahlreiche andere Arbeiten von Lutz haben Niederschlag in Top-Journalen wie “nature” und “Science” gefunden. Insgesamt hat der Demograph knapp 200 Artikel in Wissenschaftszeitschriften und -büchern sowie mehr als 30 wissenschaftliche Bücher und Monographien veröffentlicht.

Belohnt wird das wissenschaftliche Engagement Lutz’ nicht nur durch den Wittgenstein-Preis, den er als erster Sozialwissenschafter erhielt. Bereits 2008 bekam er einen mit 2,5 Mio. Euro dotierten “Advanced Grant” des Europäischen Forschungsrats (ERC). Mit den beiden Förderpreisen will Lutz in Bündelung seiner Aktivitäten am IIASA, der ÖAW und der WU ein Forschungszentrum aufbauen, das sich dem Thema “Humankapital” – von Bildung bis zur Gesundheit – und seinen gesellschaftlichen Auswirkungen in aller Welt widmen soll.

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