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NGOs kritisieren "Kriminalisierung von Armut"

Betteln in Wien: NGOs kritisieren "Kriminalisierung von Armut"
Betteln in Wien: NGOs kritisieren "Kriminalisierung von Armut" ©DPA (Sujet)
Durch das Landessicherheitsgesetz ist der Umgang mit bettelnden Menschen geregelt. In seiner jetzigen Form besteht es seit 2010 und sieht auch bei "gewerbsmäßigem Betteln" eine Verwaltungsstrafe von bis zu 700 Euro vor.

“Die Regelungen sind derart gestaltet, dass die Polizei im Grunde jede Form der Bettelei bestrafen kann”, kritisierte Ferdinand Koller, Sprecher der “Bettellobby Wien”. So würde der Passus “aufdringliches Betteln” so ausgelegt, dass eine Strafe ausgesprochen werden kann, wenn ein Bettler etwa die Hand ausstreckt und “Bitte” sagt, so Koller.

Aus Sicht der Initiative sind diese Möglichkeiten zu Strafen eine klarer Widerspruch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, wonach Betteln grundsätzlich erlaubt sein muss. Dass diese Strafen dann nicht halten, ist eine Erfahrung, von der Koller im Gespräch mit der APA berichtete: “Wir haben bisher über 70 Strafen beeinsprucht. Bei den bereits entschiedenen Verfahren sind über 80 Prozent der Einsprüche durch das Verwaltungsgericht oder die Behörden davor dahin gehend gewertet worden, dass diese rechtswidrig sind.”

Rechtsberatung für Bettler

Die Initiative veranstaltet einmal im Monat eine Rechtsberatung für Betroffene. Dabei zeigte sich laut Koller, dass in der Praxis nicht nur das Betteln selbst bestraft wird. “Es wird in Wien ebenso die Straßenverkehrsordnung häufig zur Anwendung gebracht. Etwa der Paragraf 78 ‘Behinderung des Fußgängerverkehrs durch unbegründetes Stehenbleiben’ – mit dem Resultat, dass man zweimal für dasselbe Verhalten abgestraft wird und infolge auch die Höhe der Strafe bzw. der Ersatzfreiheitsstrafe anwächst” – und letztere kann schon bei Übertretung des Landessicherheitsgesetz bis zu einer Woche betragen. Zeit für einen Einspruch bleibt je nach Art der Strafe zwei bis vier Wochen.

Beim vergangenen Rechtsberatungstermin am 15. Dezember waren bereits Auswirkungen der laufenden Schwerpunktaktionen zu bemerken, berichtete Koller. So hätten die Leute mehr Strafen als gewöhnlich dabei gehabt. “Bei den Schwerpunktaktionen geht es neben den Strafen auch darum, die Leute abzuschrecken und zu demütigen: Sie werden zum Teil festgenommen und es werden Leibesvisitationen unterzogen, die ebenfalls rechtswidrig sind”, sagte Koller.

Armut “kriminalisiert”

“Es ist in den vergangenen Jahren zu einer Kriminalisierung von Armut gekommen. Es wurden Paragrafen geschaffen, die Armutsbetroffene, auch wenn diese niemanden geschädigt oder gefährdet haben, mit hohen Strafen belegen”, kritisierte Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.

Pollak verwies darauf, dass es in der Praxis oft schon genüge, dass sich drei Armutsbetroffene miteinander unterhalten, um für die Behörden als “organisierte Bettelbande” zu gelten. Und wer mehr als einmal um Spenden bittet, gelte oftmals bereits als “gewerbsmäßiger Bettler”. “Es gibt klare Strafbestimmungen gegen Menschenhandel, Nötigung und Gewalt. Die Bettelparagrafen gehen an diesen Bestimmungen vorbei und öffnen behördlicher Willkür Tür und Tor. Das untergräbt Menschenrechte und ist eines Rechtsstaats nicht würdig”, so Pollak.

‘Willen zum Durchgreifen’

Franziska Schulteß hat im Zuge einer Diplomarbeit alle Sitzungen des Wiener Landtags und des Wiener Gemeinderats analysiert, in denen Betteln Thema war. “Wenn man sich die Sitzungsprotokolle von 1993 bis 2013 durchliest, bekommt man den Eindruck, dass es in zunehmender Weise darum ging, den ‘Willen zum Durchgreifen’, insbesondere in Bezug auf die sogenannte ‘öffentliche Sicherheit’, zu inszenieren (und damit Wählerschaft zu gewinnen). Und nicht, sich ernsthaft mit ansteigender Armut bzw. mit sozialer Ungleichheit auseinanderzusetzen”, lautete das Resümee der Sozialwissenschafterin zum politischen Diskurs mit der Thematik.

(APA)

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