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Polen droht mit Blockade des gesamten EU-Gipfels

Tusk-Wiederwahl ist ein Streitfall
Tusk-Wiederwahl ist ein Streitfall ©APA (AFP)
Die Wiederwahl von Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten droht den EU-Gipfel in Brüssel zu sprengen. Die polnische Regierung kündigte an, die Wahl ihres Landsmanns in Brüssel mit allen Mitteln verhindern zu wollen.

Die amtierende EU-Ratspräsidentschaft will das Thema dagegen schon am Donnerstag abhaken: Für Tusk gebe es breite Unterstützung, sagte Maltas Premier Joseph Muscat, der die Wahl leitet.

Auch andere Staats- und Regierungschefs der EU positionierten sich gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie sehe die Wiederwahl Tusks als Zeichen der Stabilität. Besonders deutlich äußerte sich Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel: “Ich würde eine Übereinkunft unter 28 EU-Staaten bevorzugen, aber ich werde mich nicht von einem Land als Geisel nehmen lassen.” Mit Blick auf den Widerstand des Chefs der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, gegen die Wiederwahl Tusks sagte Bettel: “Kaczynskis interne Probleme sind keine europäischen Probleme.”

Muscat machte deutlich, dass er als Vorsitzender der EU-Ratspräsidentschaft eine Entscheidung am Donnerstag treffen will. “Das Thema steht auf der Agenda, deshalb muss man entscheiden.” Über die Besetzung weiterer Spitzenposten in Brüssel – etwa den Vorsitz der Eurogruppe – erwartete er aber in diesem Jahr noch mehr Diskussionen.

Wahl über verbleib von Tusk geplant

Die 28 Staats- und Regierungschefs der EU sollen am Nachmittag in Brüssel darüber befinden, ob Tusk für weitere zweieinhalb Jahre im Amt bleibt. Polens Außenminister Witold Waszczykowski drohte mit einem Boykott seiner Regierung. “Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass die Wiederwahl heute nicht stattfindet”, sagte er dem Nachrichtensender TVN24. “Wir werden unsere Partner (in der EU) informieren, dass der heutige Gipfel in Gefahr ist, wenn sie die Wahl durchdrücken wollen.” Weitere Details zur Strategie Polens nannte Waszczykowski nicht.

Ein Vertreter der polnischen Regierung sagte, man wolle zunächst eine Verschiebung der Wiederwahl erreichen und nach der Ende Mai ablaufenden Amtszeit Tusks dann auf einem Sondergipfel über den nächsten EU-Ratspräsidenten entscheiden.

Breite Unterstützung für Tusk

Merkel zeigte sich in ihrer Regierungserklärung in Berlin dagegen von der Wiederwahl Tusks überzeugt: “Ich sehe seine Wiederwahl als ein Zeichen der Stabilität für die gesamte EU an. Ich freue mich darauf, die Zusammenarbeit mit ihm fortzusetzen.”

Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault warf Warschau vor, sich “aus innenpolitischen Gründen” und “als Vergeltungsmaßnahme” querzustellen. Dies seien Fragen, “die keine Folgen für das Funktionieren Europas haben dürfen”, sagte er dem Radiosender France Info.

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hatte schon am Dienstag vor einer Verschiebung der Abstimmung gewarnt. Dann werde Tusk voraussichtlich nicht mehr gewählt, aber auch kein anderer Vertreter aus Mittel- oder Osteuropa, sagte er im slowakischen Parlament und bekräftigte seine Unterstützung für Tusk. Dies dürften die Osteuropäer nicht riskieren.

Polens Vorwürfe gegen Tusk

Auf dem am Nachmittag beginnenden EU-Gipfel in Brüssel wird Polen durch Ministerpräsidentin Beata Szydlo vertreten. Die Wahl des Ratspräsidenten ist nach einer Rede von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani der erste Tagesordnungspunkt für die 28 Staats- und Regierungschefs und soll eigentlich nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.

Die Wahl kann mit qualifizierter Mehrheit und damit gegen den Willen Polens getroffen werden. Es wäre das erste Mal, dass ein Ratspräsident gegen den Willen seines Heimatlandes gewählt würde. Polen hat mit dem EU-Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski einen Gegenkandidaten vorgeschlagen. Kaczynski wirft dem liberal-konservativen Tusk vor, elementare EU-Regeln zu verletzen. Der Widerstand hat aber auch persönliche Gründe: Kaczynski hält Tusk für einen Flugzeugabsturz im Jahr 2010 “moralisch verantwortlich”, bei dem neben mehreren Regierungsmitgliedern auch sein Zwillingsbruder Lech Kaczynski, der damalige Präsident Polens, ums Leben kam.

Polen könnte Beschlüsse blockieren

Bei dem Gipfel wollen die Staats- und Regierungschefs eine Reihe von Beschlüssen verabschieden. Sie müssen im Einvernehmen getroffen werden, Polen könnte sie damit blockieren. Geplant sind Gipfelschlussfolgerungen zur Flüchtlingskrise, Verteidigung, zum Westbalkan, zur Wirtschaftspolitik sowie ein klares Bekenntnis zum internationalen Handel vor dem Hintergrund der Abschottungstendenzen der neuen US-Regierung unter Präsident Donald Trump.

Am Freitag stehen beim Gipfel Beratungen über die künftige Ausrichtung der EU nach dem Brexit auf dem Programm. Die Staats- und Regierungschefs bereiten dabei ohne Großbritannien eine Erklärung für ihren Sondergipfel Ende März zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge vor.

(APA/ag.)

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