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Pure Freude bei Festspiel-"Dreigroschenoper" im Original

Der Vergleich machte sicher. Wenige Tage nach einer von der Kritik arg zerzausten musikalisch neu arrangierten "Experimentalfassung" der "Dreigroschenoper" gelang Dirigent HK Gruber, dem Ensemble Modern und einigen hervorragenden Solisten am Samstagabend bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule der Beweis, dass das Original von Bert Brecht und Kurt Weill unübertroffen bleibt.


Nicht nur, weil die Aufführung konzertant war und ohne szenischen Schnickschnack auskam, war es ein Abend für Puristen. Auch das Frankfurter Ensemble Modern, das schon 1999 mit HK Gruber eine CD-Aufnahme der “Dreigroschenoper” erarbeitet hat und seither mit ihm häufig auch live zu hören war, erwies sich einmal mehr quasi als Weill-Originalklang-Ensemble.

“Ich fürchte schon jetzt die Situation nach dem Ende des Urheberrechtsschutzes, 2020”, wird Gruber im Programmheft zitiert. “Da werden sicherlich viele Moneymaker auftauchen, um die Musik Weills mit billigen Arrangements zu ruinieren. Deshalb ist es so wichtig, mit unserer puristischen Originalversion Maßstäbe zu setzen, damit das Publikum weiß, wie diese Musik wirklich klingen soll.”

Ob dies auch als kleine Spitze gegen das Festspiel-Projekt “Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigroschenoper” gelesen werden kann, muss jeder für sich entscheiden. Entscheidend ist jedoch, dass Gruber und seine Kollaborateure alles daran setzten, die Brüchigkeit und Widerborstigkeit des originalen Tonmaterials vor Ohren zu führen – und am Ende begeistert dafür gefeiert wurden.

Es war ein Abend mit Charakter, getragen von Künstlern, die ihre Eigenheiten nicht versteckten, sondern gewinnbringend zu nutzen verstanden. Über weite Strecken war die Besetzung mit jener der CD-Aufnahme ident: Dirigent Gruber, ein Vollblutmusiker mit enormer Begeisterungsfähigkeit und Ausstrahlung, ein musikalisches Urviech quasi, übernahm auch den Part des Bettlerkönigs Peachum, Max Raabe widmete sich, gesanglich hoch präzise, mit einem derart fiesen und lässigen Understatement den unmoralischen Ansichten wie Taten des Macheath, dass man förmlich die Bengel singen hörte, Winnie Böwe gab eine überaus bissige Lucy, und Hannes Hellmann absolvierte eher unauffällig zwei Kurzauftritte als Tiger Brown.

Neu in der Riege war Hanna Schwarz, die ihrer Frau Peachum etwas zu wenig Kontur gab. Sona MacDonald sang diesmal statt der Polly Peachum die Spelunkenjenny, die sie auch in der Mackie-“Experimentalfassung” singt – hier allerdings noch hinreißender und angriffiger. Die Polly der Ute Gfrerer war jedoch neben Max Raabes Mackie der Star des Abends: Das Lied der Seeräuberjenny (“das Schiff mit acht Segeln….”) und der Barbarasong (“Da behält man seinen Kopf oben / Und man bleibt ganz allgemein”) wurden Höhepunkte, bei denen die Kunst des Weill-Gesangs ganz transparent wurde: Nichts war da verschliffen, und doch triumphierte Ausdruck gegenüber Virtuosität. Ein Erlebnis.

Das Ensemble Modern ließ es scheppern und schrammen, wimmern und wummern, dass es nur so eine Freude war. Das holperte und stolperte – exakt nach Partitur und doch wie im richtigen Leben. Und weil es so viel Spaß machte, übernahmen die Musiker auch gleich den Ganovenchor, während der Salzburger Bachchor den übrigen Background-Sound intonierte. Festspiel-Chef Sven-Eric Bechtolf führte souverän und kühl als Erzähler durch das gestraffte Geschehen und übernahm auch die Rollen des Troubleshooters, als es unter den Zuschauern zu einem Schwächeanfall kam, sowie des Blumenmädchens am heftig bejubelten Ende.

90 Minuten erschienen am Ende nicht nur vielen Besuchern als zu kurz – auch Nali Gruber wollte kaum die Bühne räumen. Er brachte mit sichtbarer Spielfreude gemeinsam mit seinen Musikern noch zwei konzertante Zugaben, ehe er Sänger und Publikum zum gemeinsamen Tutti-Finale einlud: 1.400 Festspielbesucher singen gemeinsam “Und der Haifisch, der hat Zähne” – ein denkwürdiger Abschluss eines wahrhaft festspielwürdigen Abends.

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