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Schlepper: Das skrupellose Geschäft mit dem Flüchtlingselend

Schlepper: Festgenommene Menschenhändler sind nur die Spitze des Eisberges
Schlepper: Festgenommene Menschenhändler sind nur die Spitze des Eisberges ©APA
Es gibt sie in allen Ländern und in immer größerer Zahl: Schlepper und Schleuser. Es ist ein mörderisches Geschäft mit dem Elend, der Flüchtlingsstrom macht sie richtig reich. Dabei sind die geschnappten Menschenhändler nur die Spitze des Eisberges. Fragen und Antworten.

Die Flüchtlingstragödie auf der Ostautobahn (A4) im Burgenland mit 71 Toten – die Flüchtlinge wurden in einem verlassenen Schlepper-Lkw gefunden worden, 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder dürften qualvoll erstickt sein – rückt einmal mehr auch das kriminelle Schleusermilieu in den Mittelpunkt. Hohe Gewinnspannen und ein überschaubares Risiko locken.

Flüchtlinge, die das EU-Land Ungarn erreicht haben, befinden sich in der mitteleuropäischen Schengen-Zone. An der Grenze zu Österreich gibt es keine Kontrollen. Doch kann die Polizei in Ungarn und in Österreich jederzeit verdächtige Fahrzeuge stoppen und überprüfen. Immer wieder kommt es in Österreich und Ungarn zu Unfällen, weil die unter Adrenalin-Hochdruck stehenden Fahrer wie wild aufs Gas steigen.

Das Risiko ist nicht zu unterschätzen. In Ungarn werden ertappte Schlepper vor ein Schnellgericht gestellt. Gefängnisstrafen von drei oder vier Jahren sind nicht selten. Allein in diesem Jahr wurden 321 mutmaßliche Schlepper angeklagt und 250 Urteile gefällt, teilte das Landesgerichtsamt am Freitag mit. Nur 77 der Angeklagten waren ungarische Staatsbürger.

Wo sind besonders viele Schleuser unterwegs?

Von den türkischen Hafenstädten wie Izmir setzen Zehntausende Flüchtlinge auf die in Blickweite liegenden griechischen Inseln mit klapprigen Booten oder Schlauchbooten über. Für die oft nur eineinhalbstündige Passage müssen pro Person wenigstens 1000, nicht selten 1500 Dollar an Schleuser gezahlt werden. Schlepper lassen sich auch den illegalen Grenzübertritt zwischen Mazedonien und Serbien fürstlich bezahlen. Die Reise nach Nordserbien und die Überquerung der ungarischen Grenze ist ebenfalls teuer. Österreich und das bayrische Grenzgebiet um Passau sind weitere Dreh- und Angelpunkte.

In den Mitteilungen über festgenommene Schlepper tauchen immer wieder Rumänen, Serben, Syrer und andere Ausländer auf. Die internationale Dimension der Schlepper-Kriminalität führt auch das jüngste Flüchtlingsdrama in Österreich vor Augen. In diesem Zusammenhang nahm die ungarische Polizei drei Bulgaren und einen Afghanen fest.

Die kriminellen Organisationen in Osteuropa haben sich in dem Vierteljahrhundert seit dem Fall des Kommunismus gut miteinander vernetzt. Ihre Profitquellen sind vielfältig: mal ist es eine Flüchtlingskrise, mal sind es der Mehrwertsteuer-Betrug oder Prostitution und Waffenhandel.

Was kassieren Schlepper ab?

Die Schlepper, die den Flüchtlingen versprechen, sie nach Österreich oder Deutschland zu fahren, kassieren dem Vernehmen nach 500 bis 1000 Euro pro Person. Um aus der Türkei in die EU zu kommen, kassieren Schleuser zwischen 8.000 und 15.000 Euro ab, schätzt die Polizei. Um den Profit zu maximieren, pferchen die Schlepper an die 20 Flüchtlinge in neunsitzige Kleinbusse oder Dutzende von ihnen in die Laderäume von Lastwagen.

Wie groß ist das Heer der Schlepper?

Da Flüchtlinge und Schlepper eisern schweigen, gibt es keine gesicherten Zahlen. In Österreich saßen am 1. Juli 198 Schleuser in Haft. Einen Monat später waren es schon 298, berichtete die österreichische Nachrichtenagentur APA am Donnerstag unter Berufung auf das Justizministerium. In Bayern flogen im ersten Halbjahr 1300 Fälle auf. Das war schätzungsweise die Hälfte aller einschlägigen kriminellen Taten bundesweit. Im Passauer Untersuchungsgefängnis fehlt bereits Platz: Die Zahl der U-Häftlinge übersteigt die Zahl der Haftplätze um fast das Fünffache.

Wer profitiert noch vom Flüchtlingselend?

Wahrscheinlich sind die erwischten Schleuser nur die Spitze des Eisberges, weil die meisten Machenschaften unentdeckt bleiben. Vor allem in den Balkanländern ist Korruption weit verbreitet, so dass Behörden nicht selten gemeinsame Sache mit den Kriminellen machen. Zwei Belgrader Polizisten wurden festgenommen, weil sie zwei Syrern mit vorgehaltener Dienstwaffe 2050 Euro abgenommen hatten.

Wenden Schlepper auch Gewalt an?

Ja, zum Beispiel in den beiden mazedonischen Dörfern Vaksince und Lojane in Sichtweite zur Grenze mit Serbien. Dort hatten im Drogen- und Waffenschmuggel erfahrende organisierte Banden Hunderte Flüchtlinge eingekerkert und sie erst gegen hohe “Lösegelder” wieder freigelassen. Mitte Juni befreite die Polizei, die hier sonst wenig zu sagen hat, in einer Aktion mit dem Codenamen “Ali Baba” 128 festgehaltene Flüchtlinge.

Welche Strafen müssen Schleuser fürchten?

In Serbien wurden Hunderte Taxis beschlagnahmt, weil deren Besitzer nicht registrierte Flüchtlinge illegal in Richtung Ungarn transportiert hatten.
In Österreich ist der Strafbestand der Schlepperei im Paragraf 114 des Fremdenpolizeigesetzes geregelt. Für Ersttäter, die die “rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz fördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern”, sieht das Gesetz Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren vor.

Bis zu drei Jahre Haft drohen Personen, die in den fünf Jahren zuvor schon einmal wegen Schlepperei verurteilt wurden. Wer die Tat gewerbsmäßig, in Bezug auf “eine größere Zahl von Fremden” oder auf eine Art und Weise verübt, die Fremde “auf längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt”, ist vom Gericht mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Ein bis zu zehn Jahre Haft drohen Personen, die die Schlepperei als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung ausüben. Die gleiche Strafdrohung gibt es für Verdächtige, die bei der Schleppung das “Leben des Fremden gefährden

Wie viele Schlepper sitzen in Österreich derzeit in Haft?

Die Anzahl der Schlepper, die wegen Vergehen nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG) und anderer damit verbundener Delikte in Haft sitzen, ist binnen eines einzigen Monats stark angestiegen. Wurden mit Stichtag 1. Juli 198 Verdächtige österreichweit in Justizanstalten angehalten, waren es am 1. August bereits 278. Diese Zahlen gab das Justizministerium am Donnerstagnachmittag auf APA-Anfrage bekannt.

Von den 278 befanden sich 68 in Strafhaft und 210 in Untersuchungshaft. Einen Monat zuvor verzeichnete die Justiz 51 Strafgefangene und 147 U-Häftlinge. Wie das Justizministerium betonte, ist bei diesen Zahlen zu berücksichtigen, dass den Verdächtigen bzw. abgeurteilten Tätern neben Schlepperei in der Regel auch andere Vergehen vorgeworfen werden.

Im ersten Halbjahr 2015 hat es in Österreich 203 Anklageerhebungen wegen Schlepperei gegeben. Im gesamten Vorjahr waren es 296 gewesen, 2013 insgesamt 188. Österreichweit waren bis Juli bereits 812 Schlepperei-Fälle bei den Staatsanwaltschaften anhängig. 2014 waren es insgesamt 1.104, 2013 in Summe 1.026 gewesen, so die Zahlen des Justizministeriums.

In den Zahlen enthalten sind auch Ermittlungen gegen unbekannte Täter. So bearbeiteten die Staatsanwaltschaften 2014 insgesamt 341 Fälle gegen unbekannte Täter, heuer waren es bereits 257.

Verfahrenseinstellungen sind dem statistischen Datenmaterial zufolge rückläufig. Wurden 2013 insgesamt 725 Schlepperei-Verfahren eingestellt, waren es 2014 insgesamt 559, heuer mit Stand Juli 330.

Für das Vorjahr liegen auch genaue Verurteilungszahlen vor. 296 Mal wurde Anklage erhoben, in 227 Fällen gab es Verurteilungen. Großteils wurden teilbedingte Freiheitsstrafen (153 Mal) ausgesprochen, gefolgt von bedingten Freiheitsstrafen (40 Mal). In 19 Fällen wurde eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt.

Mörderisches Geschäft, Tod statt Sicherheit: Flüchtlingsdramen auf dem Landweg

Im Mittelmeer sind schon Tausende Flüchtlinge ums Leben gekommen. Auch auf dem Landweg nach Europa ereignen sich immer wieder Migrantentragödien. Einige Fälle:

  • August 2015: In einer Pannenbucht auf der A4 (Ostautobahn) im Nordburgenland wird in einem Lkw eine Vielzahl toter Flüchtlinge entdeckt. Die Behörden gehen von mindestens 20 bis zu 50 Leichen aus. Der Lenker ist flüchtig.
  • August 2015: Fünf Flüchtlinge werden an einer Straße bei Kirchham in Bayern angefahren und verletzt, einer von ihnen lebensgefährlich. Ein Schlepper hatte 14 Syrer an der Fahrbahn abgesetzt, ein Auto war in die Gruppe geschleudert. Laut Bundespolizei werden im Raum Passau täglich Hunderte Flüchtlinge einfach auf der Straße ausgesetzt.
  • August 2015: Mindestens zehn syrische Flüchtlinge sterben bei einem Verkehrsunfall in der nordwesttürkischen Provinz Balikesir. Der mit 40 Insassen völlig überladene Minibus war gegen eine Wand geprallt. Die Migranten waren offenbar auf dem Weg zum Küstenort Ayvalik nahe der griechischen Insel Lesbos.
  • Juli 2015: Die britische Polizei entdeckt in Folkestone die Leiche eines Teenagers, der mit einem Zug durch den Kanaltunnel von Frankreich nach Großbritannien gefahren ist. Der tote Migrant lag auf der Laderampe des Shuttlezugs. Bereits wenige Tage zuvor war ein Flüchtling auf einem Güterzug im Tunnel ums Leben gekommen.
  • April 2015: Mindestens 14 Flüchtlinge werden auf einer Bahnstrecke in Mazedonien von einem Zug überrollt und getötet. Sie gehörten zu einer Gruppe von rund 50 Migranten vor allem aus Afghanistan und Somalia, die auf dem Weg nach Mitteleuropa nachts auf den Schienen unterwegs waren.
  • August 2014: Im Hafen von Tilbury in England hören Hafenarbeiter Klopfgeräusche aus einem Frachtcontainer und alarmieren die Polizei. Die Beamten finden darin 35 vermutlich aus Indien kommende Kinder und Erwachsene. Viele der ausgemergelten Flüchtlinge sind stark dehydriert und unterkühlt. Ein Mann ist bereits tot.
  • Juli 2007: An der Autobahn nahe Venedig entdeckt die italienische Polizei drei tote Flüchtlinge in einem Kühlwagen. Die Männer stammten vermutlich aus dem Irak. Der mit Melonen beladene Laster sei aus Griechenland nach Italien gekommen und hatte Deutschland als Ziel.
  • Juni 2000: Der britische Zoll entdeckt im Fährhafen Dover in einem luftdicht versiegelten holländischen Gemüsecontainer die Leichen von 58 chinesischen Flüchtlingen. Nur zwei Chinesen überleben den von einem Holländer organisierten Transport.
  • Jänner 1993: Fünf Flüchtlinge aus Sri Lanka werden tot auf einem Parkplatz der A2 (Südautobahn) entdeckt. Ermittlungen ergaben, dass sie beim Transport erstickt und von skrupellosen Schleppern auf dem Rastplatz bei Leobersdorf (Bezirk Baden) in Niederösterreich einfach im Gebüsch abgeladen worden sind.

(red/dpa/APA)

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