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USA erhöhen nach syrischem Giftgasangriff Druck auf Russland

Syrien soll laut Westmächten durch die UNO verurteilt werden
Syrien soll laut Westmächten durch die UNO verurteilt werden ©APA (AFP)
Nach dem schweren Giftgasangriff in Syrien erhöhen die USA den Druck auf Russland und den Iran. Die beiden Verbündeten Syriens hätten eine "große moralische Verantwortung" für die Toten, erklärte US-Außenminister Rex Tillerson in Washington.

Die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich brachten einen Resolutionsentwurf zur Verurteilung Syriens im UNO-Sicherheitsrat ein.

“Es ist klar, wie Assad operiert: mit brutaler, unverfrorener Barbarei”, betonte Tillerson. Moskau und Teheran sollten ihren Einfluss auf die syrische Führung geltend machen und “garantieren, dass so ein schrecklicher Angriff nie wieder passiert”. Tatsächlich lieferte Russland aber in der Nacht auf Mittwoch eine Art Alibi für das syrische Regime. Die syrische Luftwaffe habe in Khan Sheikhoun ein großes Munitionslager von Rebellen bombardiert, in dem sich auch chemische Kampfstoffe befunden hätten, teilte das russische Verteidigungsministerium unter Berufung auf eigene Luftraumbeobachtungssysteme mit.

Ein russischer Militärsprecher erklärte über YouTube, die syrischen Kampfjets hätten ein “großes Munitionslager der Terroristen und Militärgerät” bombardiert. “Auf dem Gelände des Depots waren Werkstätten, in denen chemische Munition hergestellt wurde.” Der Rebellenkommandant Haj Ali von der Freien Armee von Idlib wies dies als Lüge zurück. “Alle haben gesehen, wie das Flugzeug Gas einsetzte”, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Weder gebe es in der Umgebung Militärstellungen noch Orte für den Bau von Chemiewaffen. “Die verschiedenen Oppositionsgruppen sind nicht in der Lage, solche Substanzen herzustellen.”

72 Tote, darunter 20 Kinder

Wegen des Giftgasangriffs mit mindestens 72 Toten, darunter 20 Kinder und 17 Frauen, kommt der UNO-Sicherheitsrat am Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammen. Im Resolutionsentwurf der drei westlichen Vetomächte wird eine internationale Untersuchung des Angriffs gefordert. Syrien solle Flugpläne und Logbücher vorlegen und die Namen der Helikopter-Kommandanten nennen. Zudem soll Ermittlern Zugang zu Luftwaffenstützpunkten gewährt werden, von denen aus die Angriffe gestarten worden sein könnten. Zudem soll UNO-Generalsekretär Antonio Guterres monatlich darüber Bericht erstatten, ob Syrien mit den internationalen Waffenkontrolloren kooperiert.

Die Internationale Gemeinschaft sei “empört darüber, dass wiederholt Menschen in Syrien durch Chemiewaffen getötet und verletzt würden”, heißt es in dem Entwurf. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Beobachter rechnen damit, dass Russland eine Annahme der Resolution durch Einsatz seines Vetorechts im höchsten UNO-Gremium verhindern wird. Moskau hat mehrmals eine Verurteilung des Assad-Regimes durch den UNO-Sicherheitsrat vereitelt.

UN-Generalsekretär Guterres forderte die Verfolgung von “Kriegsverbrechen” in dem Konflikt. “Die schrecklichen Ereignisse von gestern zeigen unglücklicherweise, dass es weiter Kriegsverbrechen in Syrien gibt”, sagte Guterres am Mittwoch bei der internationalen Syrien-Konferenz in Brüssel. Er zeigte sich zuversichtlich, dass der UN-Sicherheitsrat bei seinem Sondertreffen zu dem Giftgasvorfall “seiner Verantwortung gerecht wird”.

UN-Sicherheitsrat wollen Resolutionsentwurf

Der UN-Sicherheitsrat befasst sich am Mittwoch mit dem Giftgasvorfall. Die ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Großbritannien und Frankreich wollen einen Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorlegen, in dem der Angriff in der Stadt Khan Sheikhoun (Chan Scheichun) verurteilt und eine baldige Untersuchung verlangt wird.

Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff forderte die EU ein deutliches Zeichen für die Unterstützung der UN-geführten Friedensgespräche zur Beendigung des Konflikts. Die internationale Gemeinschaft müsse sich bei der Syrien-Konferenz in Brüssel am Mittwoch geeint hinter die Genfer Verhandlungen stellen, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zum Auftakt des Treffens. Die Gespräche bräuchten einen “starken Schub”, um den Krieg zu beenden. Der mutmaßliche Giftgasangriff vom Dienstag müsse alle an ihre Verantwortung für einen Frieden in Syrien erinnern, sagte Mogherini.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Dienstag aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Khan Sheikhoun (Chan Scheichun) im Nordwesten des Landes zudem Dutzende Verletzte. Mehrere Stellen machten die Assad-Regierung verantwortlich. Die Rettungshelfer der Organisation Weißhelme berichteten sogar von 240 Verletzten. Die Hilfsorganisation Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) sprach von 100 Toten und 400 Verletzten.

Die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung an. Der UNO-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch auf Antrag Frankreichs und Großbritanniens zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Aus US-Sicherheitskreisen verlautete, es sei “fast sicher”, dass der Angriff von Assad-Truppen durchgeführt worden sei. Das Weiße Haus sprach von “abscheulichen Handlungen des Regimes”.

Kurz fordert umfassende Untersuchung

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte “den offensichtlichen C-Waffenangriff”. “Solche Kriegsverbrechen müssen bestraft werden”, zitierte Regierungssprecher Steffen Seibert die Kanzlerin auf Twitter. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte auf Twitter eine umfassende Untersuchung des Angriffs und eine Bestrafung der Täter.

Papst Franziskus äußerte bei der Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz seinen “Horror” über das Giftgasmassaker und appellierte eindringlich an das Gewissen der nationalen und internationalen Verantwortliche, berichtete Kathpress.

Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich zutiefst besorgt. Experten der OPCW sammelten und analysierten zur Zeit alle verfügbaren Informationen, teilte die Organisation in Den Haag mit.

Auch Frankreich und Großbritannien sahen die syrische Regierung hinter dem Angriff. “Wie am 21. August 2013 in Ghouta greift Baschar al-Assad Zivilisten an und nutzt dabei Mittel, die von der internationalen Gemeinschaft geächtet sind”, teilte der Elyseepalast am Dienstag mit. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte: “Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat.”

Aktivisten machen syrische Luftwaffe verantwortlich

Auch Aktivisten machten für den Angriff Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Khan Sheikhoun kein Giftgas eingesetzt.

Die Menschenrechtsbeobachter erklärten, Jets seien in der Früh mehrere Angriffe geflogen. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden.

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Später sei die Stadt erneut angegriffen worden, meldeten die Menschenrechtler. Andere Aktivisten erklärten, bombardiert worden sei eine Klinik, in der Verletzte behandelt worden seien. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Menschenrechtler sitzen in England, stützen sich aber auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien. Ihre Angaben haben sich als zuverlässig erwiesen.

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Khan Sheikhoun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Sham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

UNO-Ermittler hatten Syriens Regierung im März vorgeworfen, in den vergangenen Monaten im Kampf um die Stadt Aleppo und andernorts Chlorgas eingesetzt zu haben. Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates sprach von mindestens fünf Chlorgas-Angriffen regierungstreuer Kräfte seit Anfang dieses Jahres.

Syrien-Konferenz soll Hilfsversprechen bekräftigen

Bereits 2013 waren östlich der Hauptstadt Damaskus bei Angriffen mit Giftgas rund 1.400 Menschen getötet worden. Die Opposition und der Westen machten dafür Syriens Regierung verantwortlich. Diese stimmte danach zu, alle Giftgasvorräte zu vernichten. Chlor fiel jedoch nicht unter das Verbot, weil es für zivile Zwecken benötigt wird. Im vergangenen Dezember starben einer Hilfsorganisation zufolge in der Provinz Hama bei einem Giftgasangriff 93 Zivilisten.

Die internationale Syrien-Konferenz am Mittwoch begann mit einer Schweigeminute für die Opfer des mutmaßlichen Giftgasangriffs. Die Vertreter von 70 Staaten und internationalen Organisationen gedachten zum Auftakt des Treffens in Brüssel der Menschen, die am Dienstag in der nordwestlichen Provinz Idlib gestorben sind, sowie der insgesamt mehr als 300.000 Toten in dem seit sechs Jahren anhaltenden Konflikt.

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Die Syrien-Konferenz soll Hilfsversprechen für Flüchtlinge und die Nachbarländer des Bürgerkriegslandes bekräftigen. Sie folgt auf die Londoner Geberkonferenz aus dem vergangenen Jahr, bei der die internationale Gemeinschaft über mehrere Jahre rund zehn Milliarden Euro für die Syrien-Hilfe zugesagt hatte. Die UNO kritisierte am Dienstag auch, dass in diesem Jahr noch kaum zugesagte Gelder geflossen sind und damit massive Engpässe bei der Versorgung von rund fünf Millionen Flüchtlingen in den Nachbarländern Syriens drohen.

(APA/ag.)

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