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Wiens Grüne wollen Bundespartei-Neustart nach Nationalratswahl-Desaster

In Wien werden bereits die Wahlplakate der Grünen abmontiert.
In Wien werden bereits die Wahlplakate der Grünen abmontiert. ©APA
Nach dem Desaster bei der Nationalratswahl plädieren die Wiener Grünen für eine Art Neustart der Bundespartei. "Dass es nicht so weitergehen kann, ist hoffentlich allen klar. Es muss sich einiges ändern", meinte Landessprecher Joachim Kovacs am Montag. Er fordert "inhaltliche und in gewissen Bereichen vielleicht auch personelle Weichenstellungen".

Konkret auf die Frage, ob Parteichefin Ingrid Felipe zurücktreten solle, wollte sich Kovacs aber nicht äußern. Überhaupt wolle er zu Personalia derzeit noch nichts sagen, das müsse zuerst intern geklärt werden. Aber es brache jedenfalls eine “Aufbruchstimmung”, denn man werde wohl nicht mehr viele Chancen bekommen, “den Karren aus dem Dreck zu ziehen”.

Wiener Grüner Landessprecher: “Es muss sich einiges ändern”

In der Ursachenanalyse zeigte sich der Landessprecher eher zurückhaltend. Nur soviel: “Wenn man mehr als zwei Drittel der Wähler verliert, hat das nicht ein oder zwei Gründe, sondern dann gibt es eine Serie an Gründen”. Man müsse diese “Katastrophe” jetzt genau analysieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen: “Es wird einen Kraftakt brauchen.” Man müsse nun gemeinsam daran arbeiten, wie man gestärkt zurückkommen könne.

Dass die Wiener Partei den Bundes-Grünen infolge des drohenden Parlaments-Aus monetär zur Seite stehen werde, steht für Kovacs jedenfalls “außer Zweifel”. Schließlich sei Solidarität ein Grundwert der Grünen. Die finanzielle Situation werde in den anstehenden Sitzungen wohl besprochen und folglich nach Lösungen gesucht werden.

Für die Wiener Stadtregierung sieht Kovacs nun die Aufgabe, Rot-Grün als klares Gegenmodell zu Schwarz-Blau – sofern diese Regierungskonstellation im Bund überhaupt kommt – zu positionieren: “Wir müssen über die Stadtgrenze hinaus erzählen, wofür Wien steht.” Und es brauche weitere Leuchtturmprojekte a la 365-Euro-Jahreskarte oder die höhere Kindermindestsicherung, um die Wiener “Erfolgsgeschichte” weiterzuerzählen.

Blimlinger fordert Rücktritt des Grünen Bundesvorstands

Der Grüne Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, der wichtigsten Hochburg der Wiener Grünen, Thomas Blimlinger, fordert als Konsequenz des Wahlergebnisses den Rücktritt des Bundesvorstands. Seiner Ansicht nach sind die Ursachen für den Absturz der Grünen nicht alleine in den Ereignissen der vergangenen Monate zu sehen, sondern auch auf langjährige Fehler der Bundespartei zurückzuführen.

“Teile der Ursache sind nicht neu, sondern es sind auch in den letzten zehn, zwölf Jahren Fehler gemacht worden”, sagte der langjährige Bezirkschef, der sich Ende November aus seinem Amt zurückziehen wird, am Montag im Gespräch mit der APA. Er sei seit den Anfängen der Grünen Bewegung dabei gewesen. “Damals waren sie neu. Jetzt sind die Grünen eine stinknormale Partei, die nichts Neues an sich hat.”

So habe es die Partei etwa versäumt, Nachwuchs aufzubauen. Die Themen, auf die die Grünen setzen, seien offenbar “ganz schwer vermittelbar”. Es sei nach außen hauptsätzlich auf den Klimawandel und nicht etwa auf Gerechtigkeit gesetzt worden. Dafür wählten viele die SPÖ, “obwohl die Grünen da Kompetenzen haben”, meinte Blimlinger. “Da hat die Bundespartei viel falsch gemacht”, zeigte er sich überzeugt.

Seiner Ansicht nach müsse nun der Bundesvorstand zurücktreten. “Es muss jemand die Verantwortung übernehmen.” Diese liege beim Parteivorstand, dem neben Parteichefin Ingrid Felipe elf Mitglieder angehören. Die Partei müsse sich nach außen öffnen, forderte Blimlinger. Namen wollte er keine nennen, doch es gebe “genug Menschen von außen, Profis von Agenturen, Leute die uns positiv gegenüberstehen”, die man einbeziehen könne.

Zum hohen Stimmenverlust in Neubau, wo die Grünen laut dem vorläufigen Ergebnis ohne Briefwahlkarten um 21 Prozentpunkte auf 11,4 Prozent abgestürzt sind, sagte Blimlinger: “Wir sind von einem relativ hohen Niveau ausgegangen, deshalb ist der Verlust hier stärker als in anderen Bezirken.” Den Grund dafür, dass die Grünen in seinem Bezirk und allgemein in Wien so stark verloren haben, sieht er darin, dass viele Menschen taktisch gewählt und der SPÖ ihre Stimme gegeben hätten, um Schwarz-Blau zu verhindern, was nicht gelungen sei.

Voggenhuber sieht selbst verschuldete grüne Tragödie

Als selbst verschuldete “Tragödie” hat das grüne Urgestein Johannes Voggenhuber das Wahlergebnis der Grünen bezeichnet. Die Führungsriege der Öko-Partei habe sich seit Jahren “von Kritik abgeschottet und konnte die Warnsignale nicht wahrnehmen”, so Voggenhuber im Gespräch mit der APA. Die einzige Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen, “ist eine Neugründung”.

Für Voggenhuber ist der dramatische Absturz der Grünen “keine Laune der Bevölkerung” gewesen. Das sehe man an den Detailergebnissen. Er sieht einen “Flächenbrand”. “Wenn sie bleiben, wie sie sind”, werden sie bei der nächsten Wahl “sicher nicht” wieder in den Nationalrat einziehen.

Die Grünen hätten in den letzten Jahren einen “gewaltigen Anpassungsprozess” durchlaufen. “Man hat sich angepasst.” Die innerparteiliche Demokratie sei zum erlöschen gebracht worden. Der Bundeskongress, die Basis, sei “zu einem Postenkarussell, zu einer Funktionärsversammlung” verkommen.

“Es ist bitter und eine politische Katastrophe”, dass es mit dem 30-jährigen politischen Projekt, das aus der Gesellschaft entstanden sei, so weit gekommen sei. Aber es sei kein Überraschung. Dahinter stehen “jahrelange Entwicklungen”. “Es ist nicht vom Himmel gefallen.” Was die Grünen vor sich haben, “ist nichts weniger als eine Neugründung”. Man werde sehen, ob die bisherigen Abgeordnete ohne Mandat und Geld dazu imstande sein werden.

Erste Köpfe könnten schon morgen rollen

Erste Köpfe könnten schon morgen, Dienstag, im Bundesvorstand ausgetauscht werden. Diesem Gremium gehören u.a. Bundessprecherin Ingrid Felipe, Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek, Bundesgeschäftsführer Robert Luschnik und Werner Kogler an. Am Freitag, wenn das Wahlergebnis inklusive Wahlkarten endgültig feststeht, trifft sich der Erweiterte Bundesvorstand.

Entscheidend werden für die Grünen die kommenden Landtagswahlen und damit die Frage sein, ob sie sich in den Landtagen halten können. 2018 stehen insgesamt vier am Programm: in Kärnten, Salzburg, Niederösterreich und Tirol.

Nationalratswahl: Grüne wären die vierte abgewählte Partei

Müssen sich die Grünen tatsächlich aus dem Nationalrat verabschieden, sind sie die vierte Partei, die abgewählt wurde. Das Team Stronach ging freiwillig, es löste sich während der Periode selbst auf. Vier der zehn Parteien, die die Vier-Prozent-Hürde nahmen, sind immer noch im Nationalrat: SPÖ, ÖVP, FPÖ, NEOS – und eine, die Liste Pilz, kommt heuer neu dazu.

Bei Wahlen kandidiert haben (zu einem Teil mehrfach) 81 Parteien. In den Nationalrat geschafft haben es neben den fünf jetzt gekürten SPÖ, ÖVP, FPÖ, NEOS und Liste Pilz und den Grünen vorübergehend auch KPÖ, LIF, BZÖ und Team Stronach. Wobei die Grünen die Partei wären, die sich mit Abstand am längsten (nämlich 31 Jahre) im Nationalrat hielt. Außerdem wäre angesichts ihrer festen Verankerung in den Bundesländern (dort sind sie in fünf Landesregierungen vertreten) ein Comeback bei der nächsten NR-Wahl eher wahrscheinlich.

Die Rückkehr ist bisher allerdings noch keiner Partei gelungen – auch wenn die KPÖ sich unermüdlich bei jeder einzelnen Wahl darum bemühte. Die Kommunisten zogen gleich bei der ersten Wahl 1945 ein, flogen aber bei der fünften Wahl 1959 (bis heute endgültig) aus dem Nationalrat. Zwei FPÖ-Abspalter wurden jeweils beim dritten Antritt wieder abewählte: Das LIF fiel 1999 unter die Vier-Prozent-Hürde – und das BZÖ nach dem Tod Jörg Haiders 2013. Anders als das BZÖ bemühte sich das LIF zwar bei weiteren Wahlen um ein Comeback, schaffte es aber nicht. Jetzt ist es indirekt, nach der Fusionierung mit den NEOS, wieder im Nationalrat vertreten.

Selbst aufgegeben hat eine Partei, die 2013 ins Hohe Haus gewählt wurde – das von Frank Stronach gegründete Team Stronach. Der Parteigründer zog sich aber bald zurück, und nachdem er eine weitere Kandidatur nicht mehr unterstützte, löste sich der Nationalratsklub schon vor Ende der Legislaturperiode im heurigen Sommer auf.

(APA/Red)

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