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Zahl der Klagen nach Bergunfällen nimmt enorm zu

Die Klagen nach Bergunfällen nehmen zu, die Eigenverantwortung der Alpinsportler nimmt ab.
Die Klagen nach Bergunfällen nehmen zu, die Eigenverantwortung der Alpinsportler nimmt ab. ©EXPA/ Juergen Feichter
Ein Variantenskifahrer fährt aus dem freien Gelände zurück auf die Skipiste und übersieht am Pistenrand eine kleine Stufe im Schnee. Der Mann kommt zu Sturz, verletzt sich – und klagt wegen der fehlender Absicherung das Skigebiet. Mit Erfolg - die Versicherung des Liftbetreibers zahlt, eine Berufung gegen das Urteil unterbleibt.

“Ich würde erst einmal sagen: Augen auf! Schau besser, wo du hinfährst”, meinte Dagmar Unterberger, Richterin am Bezirksgericht Hall in Tirol und ehemalige Leiterin des Alpinreferates der Staatsanwaltschaft Innsbruck am Wochenende bei einer Diskussionsrunde zum Thema Recht am Berg beim Salzburger Bergfilmfestival. “Aber die Zahl der Klagen nimmt zu. Das ufert aus, weil viele eine private Haftpflichtversicherung haben. Alles wird bis aufs Letzte ausprozessiert.” Bisher werde in den meisten Entscheidungen vor Gericht die Eigenverantwortung aber noch hochgehalten.

Weniger Eigenverantwortung

“Die Klagefantasien reichen weit”, befand auch die steirische Richterin Dalia Tanczos und meinte überspitzt: “Selbstverständlich wollen die Leute heute Schadenersatz haben, wenn sie sich in der Kletterhalle das Bein brechen. Und natürlich verklagen sie nach einem Unfall den Bergführer, er ist ja der Garant für ihre Sicherheit.” Die Frage nach der Eigenverantwortung werde dabei aber immer stärker nach hinten gedrängt. “Das zunehmende Sicherheitsdenken in der Gesellschaft hat viel Leid erspart, aber es besteht die Gefahr, dass der Bogen überspannt wird.”

Eine Entwicklung, die auch Estolf Müller, Leiter der Bergrettung Salzburg, bemerkt. “Die Leute haben heute eher eine Rechtsschutzversicherung als eine Bergekostenversicherung. Am Zivilrechtsweg wird dann Druck ausgeübt, um sich den Kosten einer Bergung zu entziehen.”

Freundschaftsdienst mit Folgen

Faktum ist, dass heute selbst ein gut gemeinter Freundschaftsdienst drastische Folgen haben kann: Im August 2010 nimmt eine erfahrene Sportkletterin ein befreundetes Paar auf dessen Wunsch in die Kletterhalle mit. Die beiden sind Anfänger, darum erklärt ihnen die Frau, wie man sich richtig sichert. Man klettert einige Routen, dann fordert die Frau den Mann auf, sich selbst ins Seil einzubinden. Der Mann hängt seinen Karabiner aber nicht in den Seilring, sondern in die Materialschlaufe ein – was niemand bemerkt. Beim Abseilen kommt es zum Unfall, der Mann wird schwerst verletzt. Laut OGH trägt die Hauptschuld an dem Unfall die erfahrene Kletterin – sie muss drei Viertel des Schadens und auch der Kosten für die Langzeitfolgen beim Verletzten tragen.

“Dieses Urteil stellt die Frage, ab wann ich erwachsene Menschen in die Eigenverantwortlichkeit entlassen kann”, so Tanczos. Die Angst vor Verantwortung nehme in der Folge zu, der Ruf nach Reglementierungen werde lauter. “Vor allem bei geführten Touren bin ich oft mit dem Wunsch nach klaren Regeln konfrontiert. Wann nehme ich ein Halbseil, wann das Doppelseil, zu welchem Zeitpunkt muss ich den Helm am Klettersteig aufsetzen. Aber derart klare Handlungsanweisungen kann es am Berg nicht geben. Die Freiheit, für die wir den Sport schätzen, droht verloren zu gehen.”

Doch steht man heute tatsächlich auf jeder Berg-, Kletter- oder Skitour mit einem Bein im Gefängnis? “Staatsanwälte leiden nicht an einem Verfolgungswahn, wenn sie nach Bergunfällen ermitteln oder Anklage erheben. Das Strafrecht duldet keine fahrlässige Gefährdung, Verletzungen und Tötungen von Menschen. Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, das aufzuarbeiten”, betonte Richterin Unterberger.

Alpiner Raum, kein rechtsfreier Raum

Wer heute bei einer Skitour in einen Hang einfährt, obwohl er weiß, dass es brenzlig sein könnte und er dadurch jemand anderen gefährdet, werde im Falle eines Unfalls zur Verantwortung gezogen. “Ich bin gegen eine Kriminalisierung, aber es muss jedem bewusst sein, dass der alpine Raum kein rechtsfreier Raum ist. Menschen müssen auch die Folgen ihres Tuns auf sich nehmen.” (APA)

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